Seite - 349 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Über die „Sprachbereinigung“ | 349
Der Begriff „Dreibund“ bezeichnete nicht nur das altbekannte Bündnis. Manch-
mal bezeichnete der „Dreibund“ auch (fälschlicherweise) das „Bündnis“ zwi-
schen Deutschland, Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich. An anderer
Stelle verstand man unter dem „Dreibund“ das „Bündnis“ zwischen Deutschland,
Österreich-Ungarn und Bulgarien. Zusätzlich „gab“ es noch den neuen „Drei-
bund“ (Osmanisches Reich, Rumänien und Bulgarien).515 Ferner „gab“ es noch
den „Dreibund im Islam“ (Osmanisches Reich, Persien, Afghanistan).516 Bei den
letzten beiden Beispielen war klar, was die Redaktion mit „Dreibund“ meinte. In
anderen Fällen fehlte es aber an einer klaren Bündnisdefinition, was aus meiner
Sicht zu Verständnisproblemen führen konnte. Und wenn man dann noch – wie es
im Übrigen alle Grazer Redaktionen taten – den Begriff „Dreiverband“ heranzog,
wurde es schwierig.
Die Menschen mussten sich daher – so banal es klingt – beim Zeitunglesen
enorm konzentrieren. Weitaus einfacher tat sich die Presse mit dem Begriff „Zwei-
bund“, der immer das Bündnis zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn be-
schrieb, wenngleich die Redaktionen mehrmals sprachlich die transleithanische
Reichshälfte unterschlug: „Der Stand des Weltkrieges für den Zweibund Oester-
reich-Deutschland ist ein durchgehend günstiger zu nennen.“517 Seit 1915 verwen-
dete die Grazer Presse dann mehrfach den Begriff „Mittelmächte“. In den ersten
Kriegsmonaten tauchte der Begriff „Mittelmächte“ nur sehr selten auf. Ähnliches
lässt sich für den aus dem Lateinischen „stammenden“ Begriff „Alliierte“ feststel-
len. Unabhängig davon, ob man nun das zweite „i“ vergaß oder nicht, so lässt sich
sagen, dass der Begriff „Alliierte“ nur sehr selten herangezogen wurde. Im zwei-
ten Kriegsjahr fand sich der Begriff „Alliierte“ dagegen regelmäßig. Alldem unge-
achtet stellen die Begriffe „Dreiverband“ und „Dreiverbandmächte“ die augenfäl-
ligste „Sprachbereinigung“ in puncto Militärsprache dar. Es ist zwar richtig, dass
beide Begriffe bereits vor dem Krieg in Verwendung waren, aber ihr fortgesetzter
Gebrauch im Krieg drängte das Wort „Entente“ zurück. Dennoch behielten die
bürgerlichen Redaktionen die seit Jahrzehnten eingeübte Militärsprache bei. Das
Tagblatt erhielt wegen dieser Zweigleisigkeit (man forderte permanent, aber hielt
dies selber nicht ein) eine Anfrage aus ihrem Leserkreis. Diese Anfrage fand sich
in der Rubrik „Briefkasten der Schriftleitung“, wo das Tagblatt bezüglich der von
ihr nach wie vor verwendeten „französischen“ Militärsprache Rede und Antwort
stehen musste. In der Rechtfertigung der Redaktion hieß es, dass man weder das
515 Ein neuer Dreibund: Türkei, Rumänien und Bulgarien, in: Grazer Mittags-Zeitung, 19.8.1914, 1.
516 Vgl. z. B. Ein Dreibund im Islam, in: Grazer Volksblatt, 1.11.1914 (2. Ausgabe), 2.
517 Der Stand des Weltkrieges, in: Grazer Mittags-Zeitung, 7.10.1914, 2.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453