Seite - 362 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen362
lige Hilfsdienste melden. Sie sollten am Bahnhof nicht im Wege stehen. Sie sollten
nicht „tratschen“. Sie sollten sich keine Sorgen machen. Sie sollten keine „Jammer-
briefe“ schreiben. In der Mittags-Zeitung hieß es dazu einmal:
„Unstreitig bewegen wir uns in Zeitläuften, wo vor allem die männliche, beherzte Tat
gilt. Da mag es denn scheinen, als wäre für die Frauen und Mädchen kein Wirkungskreis
offen, als müßten sie schweigen, wenn der Schlachtendonner sein ehernes Wort spricht.
Es liegt in der weiblichen Eigenart, die der Natur stets innig verwandt bleibt, daß ihr
Wirken ein stilles und stetiges ist; die Frau drückt ungewollt und unbewusst der Zeit
ihr Gepräge auf und erst der rückschauende Betrachter vermag es abzuschätzen, wieviel
eine Kulturperiode dem schönen Geschlechte dankt. [...] Sie schützen Heimat und Herd.
Kehren sie zurück, dann lohnt ein holdes Lächeln auf zartem Antlitz, ein leiser Hände-
druck von weicher Hand, ein heißer Kuß von warmen Lippen jede Mühe Not. So behält
auch hier wieder [Friedrich] Schiller recht: ‚Ehret die Frauen! Sie flec’en [sic] und weben
himmlische Rosen ins irdische Leben!‘“582
Forderungen wie diese finden sich auf die eine oder andere Weise immerzu in der
Mittags-Zeitung583 sowie prinzipiell in der Grazer Zeitungslandschaft. Im Oktober
1914 schrieb eine Frau an das Tagblatt, dass die Hausarbeit (von Frauen) zwar
in gewisser Hinsicht „Lob“, aber keines „äußer[en]“ Lohns bedürfe.584 Der zent-
rale Fluchtpunkt ihres Anliegens lautete dabei: Das „Volk, dessen Frauen an ih-
rem Platze stehen, geht nicht unter, das ist sicher!“585 Die „klein[ere] Tagesarbeit“
würde nämlich aus einer „einfachen, stillen Pflichterfüllung“ geschehen, weswegen
sie unbezahlbar wäre. Auch der Soldat würde „ja nicht in den Krieg um des Lohnes
oder eines Ordens willen“ ziehen. Dem sollte die Frau folgen und das „Höchste als
das Selbstverständliche“ erachten.586 Aus diesem Grund erzürnte sich die Presse
besonders über „die Tratschweiber mit Kitteln und Hosen“.587 Darstellen möchte
ich dies an einem Oktoberartikel des Arbeiterwillens, der problemlos in den ande-
ren Grazer Tageszeitungen gedruckt werden hätte können: „Ein Schulbeispiel da-
für, was leichtfertiger Weiberklatsch anrichten kann, war heute eine Verhandlung
gegen die Mutter von fünf Kindern, die, wie sich heute herausstellte, unschuldig
582 Die Frauen und der Krieg, in: Grazer Mittags-Zeitung, 7.1.1915, 2. Der letzte Satz stammt aus
Friedrich Schillers Gedicht „Die Würde der Frauen“.
583 O, ihr Frauen!, in: Grazer Mittags-Zeitung, 21.9.1914, 1.
584 Keinen Lohn!, in: Grazer Tagblatt, 3.10.1914 (2. Morgenausgabe), 7.
585 Ebd.
586 Ebd.
587 Gegen das Verbreiten dummer Gerüchte, in: Arbeiterwille, 5.8.1914, 2.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453