Seite - 368 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen368
verschwiegen614, sondern offen benannt und beanstandet. Die Vorfälle, in denen
des Öfteren Zivilpersonen involviert waren, lieferten dabei unverkennbar das
Fundament für den im ersten Kriegsjahr mehrfach artikulierten Ernst der Lage.
Obwohl das Ausmaß dieser Geschehnisse gemessen an der Truppenstärke gering
ausfiel, wurden jene Zwischenfälle von der Presse durchaus als Bedrohung wahr-
genommen, die es als solche zu unterbinden galt. Einige dieser Vorfälle trugen sich
während der „patriotischen“ Straßenumzüge zu. Als die Straßenumzüge Anfang
August aufhörten, setzten sich die einzelnen Ruhestörungen, Bajonettattacken
und Schlägereien der Soldaten aber fort. Bereits die Lektüre des Lokalteils einer
einzigen Tageszeitung legt den Schluss nahe, dass der „Glanz der Montur“ nicht
selten dort aufhörte zu wirken, wo Soldaten gewalttätig wurden. Liest man sich
die Lokalteile und die Gerichtssparten durch, erhält man gar den Eindruck, dass
seit Ende Juli fast täglich ein Soldat eine Gewalttat auf den Grazer Straßen oder in
einem Gast- bzw. Kaffeehaus beging. Dieses fortlaufende Berichten hob sich deut-
lich von der Berichterstattung der Vorkriegsmonate ab. Keine der Grazer Tages-
zeitungen berichtete in den letzten Friedensmonaten nur annähernd so viel über
Delikte seitens der Militärs (abseits der Truppe), wie es die Tageszeitungen seit
dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Serbien (25. Juli) taten. Dieser
massive publizistische Blick auf den Soldaten erscheint vor dem Hintergrund des
Grazer „Feldlagers“ naheliegend. Von Beginn an berichteten die Zeitungen über
die endlos in die Stadt einströmenden Reservisten, von denen viele in den ersten
Mobilisierungstagen aufgrund des Raummangels keine adäquate Unterkunft fan-
den. Die entsprechenden Artikel beklagten diese Missstände. Ganz anders verhielt
es sich mit den Diebstählen, Ruhestörungen, Schlägereien und Bajonettattacken
von Seiten der Soldaten. Diese Vorkommnisse wurden von der Presse angepran-
gert. Die energische Kritik richtete sich dabei gewiss nicht gegen die Armee als
Ganzes. Sie richtete sich nur gegen das (individuelle) Fehlverhalten eines Soldaten.
Bezüglich der Diebstähle und der Raube von Seiten der Soldaten sei auf einen
Vorfall von Ende Juli verwiesen, wo zwei Infanteristen nach einem Gasthausauf-
enthalt einen Krankenwärter (mit dem sie zuvor im Gasthaus waren) überfielen
und ausraubten.615 Danach flohen die Soldaten. Vorfälle wie diese finden sich des
614 Zu den wenigen Ausnahmen, wo die Presse über häusliche Gewalt (verurteilend) berichtete, zäh-
len z. B. folgende Artikel: Gräßliche Bluttat eines Reservisten, in: Grazer Tagblatt, 1.8.1914, 9;
Ein mutvoller Kämpfer, in: Grazer Tagblatt, 5.9.1914, 5; Ein Kinderverderber, in: Grazer Tag-
blatt, 5.9.1914 (Abendausgabe), 3; Böse Folgen eines nächtlichen Besuches, in: Grazer Tagblatt,
13.11.1914 (Abendausgabe), 3.
615 Raubüberfall zweier Infanteristen, in: Grazer Volksblatt, 27.7.1914 (Sonderausgabe), 6. Vgl. auch:
Infanteristen als Straßenräuber, in: Grazer Tagblatt, 26.7.1914 (2. Sonderausgabe), 4.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453