Seite - 369 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
Bild der Seite - 369 -
Text der Seite - 369 -
Soldaten abseits der Truppe | 369
Öfteren in der Grazer Presse. Vereinzelt sogar auf ein und derselben Zeitungs-
seite.616 Nicht selten kam bei diesen Überfällen auf Zivilisten das Bajonett zum
Einsatz. Die uniformierten „Nachtschwärmer“ waren ebenfalls unerwünscht.
Gleichwohl ihr alkoholisiertes und „grölendes Treiben“ für das gesamte Kriegsjahr
1914 nachgewiesen werden kann, erregten die lärmerregenden (und streitenden)
Soldaten vor allem im Juli und im August die Gemüter. Eine dieser Ruhestörungen
trug sich beispielsweise Ende Juli am Griesplatz zu. In einer Nacht wurden dort ein
Zugführer und mehrere Gefreite von einem Wachmann wegen einer Ruhestörung
angehalten.617 Die Soldaten leisteten den Mahnungen des Wachmanns nicht Folge
und es kam zu einem Streit. Nachdem der Zugführer sein Bajonett gezogen hatte,
wurde er vom Wachmann überwältigt und verhaftet. Die Gefreiten konnten offen-
sichtlich fliehen. Ähnlich verlief eine nächtliche Ruhestörung am Lendkai, die sich
Anfang September zugetragen hatte. Dort verübten dem Arbeiterwillen zufolge
einige Soldaten „einen argen Exzeß, wodurch die nächtliche Ruhe empfindlich ge-
stört wurde.“618 Ein Soldat verletzte dabei mit seiner Bajonettscheide eine Frau am
Kopf, weswegen er von einer Militärpatrouille der Hauptwache überstellt wurde.
Anders verlief eine Ruhestörung in der Nähe des Griesplatzes. Dort störten Anfang
September mehrere Soldaten „die nächtliche Ruhe durch übermäßiges Lärmen.“619
Daraufhin „wurde von einem Fenster eine übelriechende Flüssigkeit auf die Ru-
hestörer herabgeschüttet.“ Die Soldaten gerieten dem Artikel zufolge „in heftige
Erregung“. Aus diesem Grund „sprengten [sie] das Haustor auf und wollten die
Wohnungen stürmen, wodurch“ – so die Parteinahme des Arbeiterwillens – „die
Bewohner in große Angst gerieten, da die Situation sehr bedrohlich erschien.“ Die
Soldaten verständigten obendrein noch die Bereitschaft, deren „Kommandant die
Wohnungen gewaltsam öffnen und eine Frau auf die Straße ziehen lassen wollte“.
Lediglich die hinzugestoßene Sicherheitswache konnte die Soldaten von ihrem
„gesetz[es]widrigen Vorhaben“ abhalten. Was in weiterer Folge mit den Soldaten
geschah, lässt sich anhand der hier herangezogenen Quellen nicht verfolgen. Das
Tagblatt und das Volksblatt, die ebenfalls von diesem Vorfall berichteten620, präzi-
616 Siehe nur die vier Artikel „Von Soldaten überfallen“, „Einbrecher und Deserteure“, „Überfallen
und mit dem Bajonett gestochen“ und „Ein exzedierender Kriegsfreiwilliger“, in: Arbeiterwille,
22.2.1915 (Abendausgabe), 4.
617 Alkoholexzesse, in: Arbeiterwille, 27.7.1914 (Abendausgabe), 3; Gewalttätige und räuberische
Soldaten, in: Grazer Montags-Zeitung, 27.7.1914, [ohne Seitenangabe].
618 Nächtliche Exzesse, in: Arbeiterwille, 3.9.1914 (Abendausgabe), 3. Vgl. parallel: Arge Ausschrei-
tungen, in: Grazer Volksblatt, 4.9.1914 [Morgenausgabe, Nr. 420–421], 6.
619 Das Zitat und die folgenden Sätze stützen sich auf: Eine nächtliche Alkoholszene, in: Arbeiter-
wille, 2.9.1914 (Abendausgabe), 4.
620 Vgl. z. B. Eine nächtliche Szene, in: Grazer Tagblatt, 2.9.1914 (Abendausgabe), 2.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453