Seite - 372 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen372
Gründer Johann Puch Mitte Juli 1914 verstarb639, dem Grazer Roten Kreuz fünf Ret-
tungsautos schenkten und fünf weitere gegen eine Leihgebühr zur Verfügung stell-
ten.640 Im Grunde genommen berichtete die Presse völlig emotionslos über das Zu-
sammenbrechen der Soldaten: „In der Annenstraße stürzte gestern abend ein Soldat
unter Krämpfen zusammen. In der Lazarettkaserne erlitt heute morgen ein Soldat
ebenfalls Krämpfe. Beide wurden durch die Rettungsabteilung in das Garnisonspital
gebracht.“641 Das Quellenstudium vermittelt gar den Eindruck, dass das Zusammen-
brechen von Soldaten zur Regelmäßigkeit wurde, der man sich nur schwer entzie-
hen konnte, was von der Presse zum Teil auch so geschildert wurde. So konnte man
zum Beispiel, der Grazer Vorortezeitung zufolge, täglich das „Rettungsauto aus Graz
über den Steinberg hinaufsausen sehen“, wo „unsere lieben Vaterlandsverteidiger“ in
einem Spital versorgt werden.642 Des Öfteren betonte man dabei, dass aber alles in
„Ordnung“ sei, da der Abtransport der zusammengebrochenen Soldaten im Gegen-
satz zu dem der verwundeten Soldaten stets komplikationslos verlaufe. Aber es blieb
dabei: „Mehrere Soldaten, die auf der Straße von Unwohlsein und Krämpfen befallen
worden waren, wurden in die Spitäler überführt.“643 Die „Hitzeberichte“ endeten im
Herbst. Andere Soldaten wurden laut Presse „plötzlich irrsinnig“644 oder waren in-
nerhalb kurzer Zeit „von Wahnsinn befallen“645. So erschien zum Beispiel ein Reser-
vist „nachts in voller Ausrüstung in der Lehrerbildungsanstalt“, wo er „mit den anwe-
senden Soldaten einen Exzess“ begann.646 Der Presse zufolge war der „tobsüchtig[e]“
Soldat „geistesgestört“.647 Schlussendlich finden sich auch im Dezember Schlagzei-
len, wie „Ein geistesgestörter Landsturmmann“ oder „Tobsüchtig geworden“.648 In
fen befallen, in: Grazer Mittags-Zeitung, 28.8.1914, 3; Zusammengestürzt, in: Grazer Mittags-
Zeitung, 29.8.1914, 2.
639 Johann Puch (Janež Puh) starb am 19. Juli 1914 in Zagreb (Agram). Das Begräbnis fand am
22. Juli am Grazer Zentralfriedhof statt.
640 Kriegsunterstützung der Puch-Werke, in: Arbeiterwille, 29.9.1914 (Abendausgabe), 3.
641 Plötzliche Erkrankungen von Soldaten, in: Arbeiterwille, 19.9.1914 (Abendausgabe), 4.
642 Wetzelsdorf. (Unfälle von Soldaten infolge der großen Hitze.), in: Grazer Vorortezeitung,
9.8.1914, 2.
643 Die Rettungswagen, in: Grazer Tagblatt, 11.9.1914 (Abendausgabe), 2.
644 Ein Reservist irrsinnig geworden, in: Grazer Volksblatt, 30.7.1914 (Abendausgabe), 3.
645 Folgen der Hitze, in: Kleine Zeitung, 7.8.1914, 6: „Infolge der herrschenden Hitze wurden hier
[in Graz] bereits viele Personen, Zivil und Militär, von plötzlichem Unwohlsein befallen. In einer
Kaserne wurde ein Soldat von Wahnsinn befallen und mußte in das Garnisonsspital überstellt
werden.“
646 Geistesgestört, in: Grazer Mittags-Zeitung, 2.9.1914, 3.
647 Ebd.
648 Ein geistesgestörter Landsturmmann, in: Grazer Mittags-Zeitung, 14.12.1914, 3; Tobsüchtig ge-
worden, in: Grazer Mittags-Zeitung, 9.12.1914, 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453