Seite - 386 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen386
ken nieder!‘ ‚Halt!‘ und von links ich mit fertigem Revolver. [... Von] rechts der wackere
[... Soldat] mit gezücktem Speer los auf das Auto. Und siehe! Da [... saßen] Damen. Wir
fühlten schon die Millionen zwischen den Fingern. Aber leider war das Ergebnis eine
Marburger Familie. [... Und] mit dem zweiten und dritten Auto gings ebenso.“729
Auch der stilisierte „Kameradschaftsfaktor“, der das (vermeintlich) vorangegan-
gene „Gleichmachereigetue“ ersetze, lässt sich hier mitunter in Nuancen erken-
nen. Zudem fand hier die Enttäuschung, dass man am „Heldentum“ an der „Hei-
matfront“ nicht partizipieren konnte, einen Ausdruck. Trotz alledem zeigt sich
an der Goldauto-Geschichte, dass die „Nerven“ blank lagen. Schließlich schien
an allen Ecken und Enden ein Feind zu lauern (ein „Spion“, ein „Serbenfreund“,
ein „Lebensmittelwucherer“, ein „Zinsgeier“, ein „Bauernfänger“ und so weiter).
Letztendlich wurde das Auto weder in Deutschland noch in der Steiermark an-
gehalten.730 Das Wirken der Wachposten führte zu einer Einschränkung der Be-
wegungsfreiheit der Bevölkerung. Dabei kann grundsätzlich festgehalten werden,
dass die Einschränkungen in der Bewegung (Ausweispflicht) sowie die Gefahr,
denunziert oder verprügelt zu werden, zu vielen Alltagskomplikationen führten.
Aus dem Artikel „Spionage und Spionenfurcht“ des Arbeiterwillens geht dies
besonders gut hervor: „In diesen Zeiten muß es sich ja schließlich jeder gefallen
lassen, daß er aufgefordert wird, sich auszuweisen, aber wer denkt immer daran,
eine Legitimation zu sich zu stecken?“731 Gleich im Anschluss an diese Frage fügte
der Arbeiterwille hinzu: „Die Anhaltung wäre nun, so unangenehm sie ist, noch
nicht das Schlimmste, aber es kommt bedauerlicherweise oft zu Ärgerem.“ Unter
„Ärgerem“ verstand die Redaktion, dass die „geängstigten Menschen [...] in jedem
Verhafteten, auch wenn er unschuldig in den schrecklichen Verdacht kam, ohne
weitere Untersuchung schon den Schuldigen“ sehen. Und oft würde es dann mit
dem „traurige[n] Schauspiel [enden], daß unschuldig Verhaftete von der empör-
ten Menge bedroht, beschimpft oder gar mißhandelt werden!“732 Diese Fälle lassen
sich aus meiner Sicht nicht kleinreden, zumal sie das soziale Gefüge der Stadt ne-
gativ beeinträchtigten. Am Ende standen die Militarisierung und die Aufrechter-
haltung von „Ruhe und Ordnung“ in einem unklaren Verhältnis zueinander. Die
Grenzen der „Volksbewaffnung“ lagen dort, wo man ihr (selbst) eine „sicherheits-
gefährdende“ Wirkung unterstellte. Angesprochen wurde diesbezüglich der Appell
729 I. Nachtrag zur Adressliste, in: Kriegs-Zeitung des A.T.V. Graz, 5.8.1914, Nr. 2, 2.
730 Michael Schacherl erwähnte dieses Gerücht noch Anfang der 1930er Jahre in seinem Regional-
klassiker „30 Jahre steirische Arbeiterbewegung 1890 bis 1920“, vgl. Schacherl (1931), 269.
731 Spionage und Spionenfurcht, in: Arbeiterwille, 9.8.1914, 1.
732 Ebd.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453