Seite - 390 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen390
täglich in den bürgerlichen Zeitungen, sodass diese durchaus eine weitere zielge-
richtete thematische Stütze der Berichterstattung über das Grazer Straßenleben
darstellten. Die Wertschätzung, die die bürgerliche Seite den bürgerlichen Kinder-
und Jugendgruppen entgegenbrachte, erreichte zu Kriegsbeginn 1914 eine bis dato
unerreichte Höhe. Rein demoskopisch betrachtet gab es nur sehr wenige Grazer
Kinder, die Mitglied einer wie auch immer politisch ausgerichteten Kinder- und
Jugendgruppe waren. Nichtsdestoweniger ließ man ihnen (und hier vor allem den
bürgerlichen Gruppen) enorme Aufmerksamkeit zukommen. Diesen Umstand gilt
es umso mehr zu betonen, wenn man bedenkt, wie „jung“ diese politischen „Nach-
wuchsverbände“ erst waren.
Dazu sei zunächst auf die älteste der 1914 wirkenden politischen Kinder- und
Jugendbewegungen eingegangen. Es handelt sich hierbei um den sozialdemokra-
tischen Verein „Die Kinderfreunde“. Die Kinderfreunde wurden 1908 in Graz ge-
gründet. Die Roten Falken, die Jugendgruppe der Sozialdemokratie, gab es damals
noch nicht. Sie wurden erst nach dem Ersten Weltkrieg, genauer gesagt im Jahr
1925, gegründet. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Jugendlichen in der sozialde-
mokratischen Jugendorganisation organsiert, die damals von Johann Svitanics und
Anton Jenschik geleitet wurde.752 Der Kinderfreunde-Verein engagierte sich wäh-
rend der gesamten Kriegszeit in diversen Fürsorgestellen und Hilfsausschüssen,
darunter dem Hilfsausschuss für Flüchtlinge aus Galizien und Bukowina753, für
den er beispielsweise Kleidungsspenden für notleidende Kinder sammelte.754 Im
Zentrum des Interesses der Kinderfreunde standen die seit September 1914 anlau-
fende (kostenlose) Ausspeisung und Obsorge von Kindern arbeitsloser Eltern.755
Anfang August beteiligten sich die Kinderfreunde auch an den Rot-Kreuz-Tagen.
Während der Rot-Kreuz-Tage (4. und 5. August) sammelten Grazerinnen und
Grazer, Erwachsene wie Kinder, Spenden für das Rote Kreuz. Die Kinderfreunde
übernahmen dabei den Bezirk Lend. Der Verein appellierte dabei ausschließlich
an die Frauen und Mädchen, die sich für den unentgeltlichen, weil freiwilligen
752 Jugendorganisation, in: Arbeiterwille, 26.8.1914, 6.
753 Am Hilfsausschuss für Flüchtlinge aus Galizien und Bukowina beteiligten sich in den ersten Mo-
naten seines Bestehens: die Stadtverwaltung, Eisenbahnvereine, die israelitische Kultusgemeinde,
der Grazer Beamten-Wirtschaftsverband und die Kinderfreunde. Vgl. dazu auch: Unterbringung
galizischer Flüchtlinge in Graz, in: Amtsblatt der landesfürstlichen Hauptstadt Graz (20.10.1914),
433.
754 An die Mitglieder des Arbeitervereines „Kinderfreunde“ Graz und Umgebung!, in: Arbeiterwille,
29.9.1914, 4; Für die galizischen Flüchtlinge, in: Arbeiterwille, 17.10.1914 (Abendausgabe), 4.
755 An alle Kinderfreunde, in: Arbeiterwille, 3.9.1914, 3. Vgl. auch den Artikel: Steiermark und
Kärnten, in: Der Kinderfreund, 1.3.1915, 19. Die Monatsschrift „Der Kinderfreund“ wurde zu
Kriegsbeginn eingestellt. Sie erschien erst wieder im März 1915.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453