Seite - 413 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Verbliebene „Kriegsfreizeit“ | 413
strengung, Anpassung, Improvisation, das Zurücklegen von Kilometern und nicht
zuletzt Zeit und Geld. Das Wetter schränkte ebenfalls das Freizeitangebot ein. Das
verregnete Juliwetter zerstörte nämlich nicht nur einen Teil der Ernte, sondern es
wirkte sich auch auf die Besucherzahlen der Grazer Freibäder negativ aus. Beson-
ders gravierend gestaltete sich die Badesaison für das erst im Juli 1914 eröffnete
Augartenbad, das wie die anderen Bäder zur damaligen Zeit für Männer und
Frauen getrennte Badezeiten vorschrieb.860 Schon bei der Eröffnung am 18. Juli
zeigte sich, dass zwei Becken undicht waren, sodass das Augartenbad für umfang-
reiche Reparaturarbeiten wieder geschlossen werden musste.861 Die Reparaturar-
beiten dauerten zwei Tage, aber auch in den verbliebenen Julitagen kam es infolge
der Regenschauer zu keinem sonderlichen Besucherandrang.862 Als dann im Au-
gust schlagartig die Sommerhitze kam, die viele Zivilpersonen und Soldaten auf
offener Straße oder sonst wo zusammenbrechen ließ, stiegen wieder die Besucher-
zahlen der Freibäder, die als solche, abseits ihres Erholungs- und Vergnügungs-
zwecks, auch eine sanitär-hygienische Funktion zu erfüllen hatten.863 Ausschlagge-
bend für den Andrang auf die Bäder waren – wie im Falle des Andrangs auf die
Grazer Kinos (siehe unten) – vorwiegend Soldaten. Sie frequentierten die Freibä-
der oft und diese waren wiederum sichtlich darum bemüht, ihre Juliverluste in den
verbliebenen Sommer- und Herbsttagen wettzumachen. Die Annoncen und Ange-
bote dieser Tage deuten darauf hin, denn Ende September war die Badesaison be-
reits wieder zu Ende (für das Augartenbad z.
B. am 24.
September864). So gewährte
einmal das Bad „Zur Sonne“ einer größeren Gruppe von Soldaten des 27. Infante-
rieregiments einen Preisnachlass.865 Ein Freibadbesuch sei gerade deswegen für
Soldaten wichtig, weil sie sich so von ihren „beschwerlichen Exerzierübungen“866
Graz und Umgebung, Bürgerwehren). Das Hochziehen der ambivalent agierenden „Heimat-
front“ erfolgte freilich auch am Arbeitsplatz (Zeitungsredaktionen, Sicherheitsbehörden, Fabri-
ken, Bäckereien, Postämter und so weiter).
860 Eröffnung der neuen städtischen Badeanstalt [... im] Augarten, in: Amtsblatt der landesfürstli-
chen Hauptstadt Graz (10.7.1914), 366.
861 Das städtische Bad im Augarten, in: Grazer Tagblatt, 21.7.1914, 3.
862 Anders verhielt es sich bei den großen Menschenansammlungen und den „patriotischen“ Stra-
ßenumzüge von Ende Juli, die Wohl oder Übel im Regen stattfinden mussten. Ihnen konnte der
Regen freilich nichts anhaben, zumal die Brisanz der Stunde und die schlechte Nachrichtenlage
gewissermaßen den Gang auf die Straße erforderten.
863 Damals hatten mehrere Wohnungen (vor allem die Einzelzimmer) noch kein Fließwasser, vgl.
Varetza (1980).
864 Das städtische Augartenbad, in: Grazer Tagblatt, 22.9.1914 (Abendausgabe), 2.
865 Das bedeutet freilich im Umkehrschluss, dass die anderen Regimenter keinen Preisnachlass er-
hielten.
866 Billige Badegelegenheit für unsere Soldaten, in: Grazer Tagblatt, 11.9.1914, 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453