Seite - 414 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen414
erholen könnten, hieß es einmal im Tagblatt. Ruft man sich noch einmal die fast
täglichen Artikel über umfallende, zusammenbrechende bzw. schlagartig „irrsin-
nig“ gewordene Soldaten ins Gedächtnis, erscheint es einleuchtend, dass die Wer-
bung auf dieses augenfällige Alltagsmoment abzielte. Viel wichtiger erscheint mir
in diesem Zusammenhang aber die Tatsache, dass die Menschen den Wunsch nach
einer erholsamen Freizeitbeschäftigung hatten. Die Orte, wo man diesem Wunsch
nachgehen konnte, blieben dagegen wie die Zeit, die dafür zur Verfügung stand,
sehr begrenzt. Die Grazer Oper war wie das Grazer Schauspielhaus aufgrund der
Sommerpause von Haus aus geschlossen. Ab Mitte September durften die Grazer
Bühnen wieder spielen.867 Während das Opernhaus ab Mitte September wieder
regelmäßig aufführte, ging die Wiederaufnahme des Spielbetriebs im Schauspiel-
haus nur schleppend voran.868 Weit mehr als das Wetter oder die Saisonpause der
Oper und des Schauspielhauses beschränkte der Krieg und die damit einherge-
hende Mobilisierung das Freizeitangebot. Die Kriegsfahrordnung bedeutete, wie
erwähnt, eine Einschränkung des zivilen Reise- und Güterverkehrs zugunsten mi-
litärischer Belange. Diese Einschränkung führte nicht nur dazu, dass die Zeitun-
gen in der Provinz verspätet ankamen, sondern sie wirkte sich auch negativ auf das
Vereinsleben aus. Zieht man allein die Rubrik „Nachrichten aus den Vereinen“ des
Arbeiterwillens heran, unternahmen die einzelnen Ortsgruppen der Kinder-
867 Die amtliche Grundlage der Stadtgemeinde Graz bildete hierfür: Versuchsweiser Fortbetrieb der
beiden städtischen Theater, in: Amtsblatt der landesfürstlichen Hauptstadt Graz (31.8.1914), 396:
„Die Stadtgemeinde Graz als Eigentümerin und Betriebsführerin der beiden städtischen Theater
[Oper und Schauspielhaus] war vor die schwere Frage gestellt, ob sie dem Beispiele fast aller Wie-
ner Unternehmertheater folgen und die Theater auf die Zeitdauer der kriegerischen Verwicklun-
gen überhaupt gesperrt halten soll oder ob sie den Betrieb allenfalls in beschränktem Umfange
aufnehmen soll, in welch letzterer Beziehung die Theaterverwaltungen vieler reichsdeutscher
Städte und auch die Direktion des deutschen Volkstheaters in Wien beispielgebend sind. Für
den wenigstens versuchsweisen Beginn des Theaterbetriebes sprach in erster Linie die Fürsorge
für die gesamten Mitglieder des Theaters, welche im Falle einer Nichteröffnung der Spielzeit ge-
kündet und entlassen werden müßten, in zweiter Linie die Erfahrung der Kriegsjahre 1870/71,
während welcher die meisten Theater Deutschlands geöffnet blieben, endlich die Erwägung, daß
man dem in Graz verbleibenden Teile der Bevölkerung die Möglichkeit der Erhebung und der
Ablenkung geben soll. Es war den berufenen Faktoren sofort klar, daß von einem Beginne der
Spielzeit mit 1. September 1914 nicht die Rede sein könne, und so entschloß man sich, die end-
gültige Entscheidung noch zu verschieben und die allfällige Eröffnung der Grazer Theater auf
den 16.
September 1914 festzusetzen; selbstverständlich erfolgt die Eröffnung der Grazer Theater
auch am 16. September 1914 nicht unbedingt, sondern nur dann, wenn es die Gestaltung der
äußeren und inneren Verhältnisse der Monarchie als angängig erscheinen läßt.“ Zur steirischen
Theaterwelt rund um den Ersten Weltkrieg vgl. auch: Hammer-Luza (2008).
868 Das erkennt man, wenn man die jeweiligen Opern- und Theaterberichte sowie die einzelnen
Veranstaltungsankündigungen der Zeitungen liest.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453