Seite - 415 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Verbliebene „Kriegsfreizeit“ | 415
freunde und der Naturfreunde dennoch mehrere Ausflüge in die umliegende Re-
gion. Im August 1914 wanderten die Naturfreunde beispielsweise auf die Stubalpe
sowie über den Geierkogel in die Dult. Die Kinderfreunde gingen im selben Monat
in den Schachenwald und in die Mantscha. Diesbezüglich sei vermerkt, dass die
bürgerlichen Zeitungen die sozialdemokratischen Vereinsaktivitäten in keiner
Weise als Zeichen eines begrenzten oder gar falschen Kriegseinsatzes deuteten,
während sie zeitgleich beispielsweise von einer sozialdemokratischen „Mißwirt-
schaft in einer Krankenkasse“ sprachen.869 Ähnliches gilt für die Vorträge im Rah-
men der bürgerlichen Erwachsenenbildung („Volksbildung“), die nicht von der
innenpolitischen Kritik des Arbeiterwillens erfasst wurden. Das Grazer „Feuille-
ton“ konstatierte eine Verengung des Freizeitangebots, über die im Staccato-Stil
berichtet wurde. So musste zum Beispiel eine geplante Wallfahrts-Bahnreise nach
Mariazell abgesagt werden.870 Das für den 2. August in den Annensälen (in der
Nähe des Hauptbahnhofs) angesetzte Sommerfest der Freiwilligen Feuerwehr fiel
ebenfalls aus.871 Während man im Juli aufgrund des schlechten Wetters in der Stei-
ermark einzelne Sommerfeste abgesagt hatte, erschwerte nun die Mobilisierung
das Abhalten der Feste. In einigen Fällen, wie beispielsweise die für den 1. August
angesetzte Ausstellungseröffnung zum 50. Jubiläum des Steiermärkischen Kunst-
gewerbevereins, wurde der Zeitpunkt der Veranstaltung lediglich einige Tage nach
hinten verschoben.872 Eine weitere mobilisierungstechnische Freizeitbeschrän-
kung erfolgte durch die Einquartierung der Soldaten in diversen Grazer Schulen.
Dies führte dazu, dass viele Grazer Vereine, die über keinen eigenen Turnsaal ver-
fügten, nun nicht mehr in den vom Militär belegten Schulen trainieren konnten.
Aus diesem Grund las man in den Zeitungen oft, dass der eine oder andere Verein,
infolge der militärbelegten Schulen, an andere Orte ausweichen musste.873 Von der
Einquartierung von Soldaten war auch die Industriehalle betroffen, weswegen die
869 Sozialdemokratische Mißwirtschaft in einer Krankenkasse, in: Sonntagsbote, 2.8.1914, 19.
870 Die Mariazeller Wallfahrt unterbleibt, in: Grazer Volksblatt, 31.7.1914 (Abendausgabe), 3.
871 Kein Sommerfest, in: Grazer Volksblatt, 31.7.1914 (Abendausgabe), 3.
872 Vom Bürgermeisteramt, in: Grazer Montags-Zeitung, 3.8.1914, [ohne Seitenangabe].
873 Nachrichten aus den Vereinen, in: Arbeiterwille, 12.8.1914, 6: „Die allgemeine Mobilisierung
und die dadurch bedingte Einquartierung in den Schulen hatten zur Folge, daß wir [der Arbeiter-
turnverein ‚Freiheit‘] unserer Turnböden für einige Zeit verlustig wurden. Weiter ist ein Großteil
der Mitglieder eingerückt. Soll nun nicht die Arbeit eines Jahrzehntes verloren gehen und die
schweren Opfer, die jeder einzelne dem Verein gebracht, umsonst gewesen sein, so müssen alle
Mitglieder, die frei von jeder Dienstleistung sind, treu zum Verein stehen und ihn in dieser be-
drängten Zeit durch fleißigen Turnbesuch unterstützen. Der Verein ‚Kinderfreunde‘ hat sich in
liebenswürdigster Weise bereit erklärt, uns seinen Spielplatz im Kernstockgarten zur Verfügung
zu stellen [...].“
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453