Seite - 416 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen416
(alljährliche) Grazer Herbstmesse abgesagt wurde. Letztendlich konnte die Herbst-
messe zwischen 1914 und 1920 nicht abgehalten werden (Die erste Messe nach
dem Krieg fand 1921 statt).874 Konkret wurde die Herbstmesse 1914 am 4. August
abgesagt.875 Bereits Tage zuvor quartierte sich das Militär in der Industriehalle ein.
Was tatsächlich geboten worden wäre, lässt sich den Zeitungen und Zeitschriften
nur spärlich entnehmen. Nimmt man das Publikationsorgan der Grazer Orts-
gruppe der Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs (ROHÖ) zur Hand, so
wäre ihrer Juliausgabe zufolge die „Frau“ im Mittelpunkt der Herbstmesse gestan-
den. Die Hauptausstellung „Die Frau“ und die damit verbundenen Vorträge (über
Krankenpflege, Gartenbau, Landwirtschaft etc.) und Vorführungen (über Haus-
halt, Sport, Turnen usw.) hätten schließlich all das gezeigt, „was die Frau leistet, wie
sie herangebildet wird, wie auch das, was zur Vereinfachung des Haushaltes
[... oder] zur Verschönerung ihres Heimes beitragen“ könne.876 Ebenso hätte die
Ausstellung Fragen bezüglich der Lebensverhältnisse von Frauen im Allgemeinen
sowie ihrer Erwerbsmöglichkeiten im Speziellen thematisiert, wobei ein „überra-
schendes Bild über Frauenarbeit“ gezeigt worden wäre.877 Zudem wäre der (angeb-
lich) größte Mensch der Welt aufgetreten.878 Neben der Einschränkung des Bahn-
verkehrs und der Einquartierung von Soldaten in Zivilbauten führten nicht zuletzt
die Einberufungen selbst zu einer Verringerung des Freizeitangebots. Markant
sticht hierbei die Schließung des Varieté-Theaters Orpheum hervor. Das in der
Nähe des Volksgartens gelegene Theater galt zwar anfänglich, wie das Ronacher in
Wien, als großbürgerliche, hochadelige Vergnügungs- und Repräsentationsstätte,
wurde aber nach Überwindung des Konkurses im Jahr 1912 als Veranstaltungsort
für alle Bevölkerungsteile wiedereröffnet.879 Mit Kriegsausbruch sah sich der The-
ater-Direktor Josef Schulz zum Aussetzen der Vorstellungen gezwungen, da ein
„großer Teil des jetzigen Personals“ zur Armee einrücken musste.880 Nach dreimo-
natiger Pause wurde das Orpheum am 1. November 1914 wiedereröffnet881, wobei
die neuen Preise weitgehend halbiert und ein geringer Teil der Einnahmen der gut
874 Vgl. Jäger (2003), 213 sowie den Lexikonartikel „Grazer Messe“ in: Reismann/Mittermüller
(2003), 166.
875 Die Grazer Herbstmesse abgesagt!, in: Grazer Tagblatt, 5.8.1914, 4.
876 Die Ausstellung „Die Frau“ auf der Herbstmesse 1914, in: Allgemeine Frauen-Zeitung (1914),
Nr. 4, 2.
877 Ebd. Eine weitere Ausstellungsbeschreibung findet sich in: Die Ausstellung „Die Frau“ (Grazer
Herbstmesse), in: Grazer Tagblatt, 3.7.1914, 4.
878 Grazer Herbstmesse 1914, in: Grazer Tagblatt, 28.6.1914, 4.
879 Kanzian (1998), 540, 543, 545, 556.
880 Grazer Orpheum, in: Grazer Volksblatt, 31.7.1914, 5.
881 Grazer Orpheum, in: Grazer Mittags-Zeitung, 28.10.1914, 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453