Seite - 418 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen418
den sicher die (bereits besprochenen) Kaffee- und Gasthäuser sowie die Grazer
Kinos. In Graz gab es zur damaligen Zeit zwei große konkurrierende Kinos: Das
Bioskop Annenhof (gegründet 1909) und das Edison- bzw. Union- Theater (ge-
gründet 1910). Daneben existierten noch einige kleinere Lichtspieltheater.889 Und
auch an diesen „jungen“ Orten zeigte sich deutlich, wie sehr der Krieg in den All-
tag einbrach bzw. dort ausbrach. Dies begann bereits mit dem Abbruch der diplo-
matischen Beziehungen zu Serbien (25. Juli). So reagierte zum Beispiel dem Tag-
blatt zufolge das Kinopublikum – nachdem der Kinodirektor des Bioskops
Annenhof Oskar Gierke890 die Samstagabendvorstellung unterbrochen hatte – mit
Erleichterung und Jubel auf den Abbruch der Beziehungen.891 Im Gegensatz dazu
konnte die am gleichen Tag im (zu dieser Zeit noch nicht geschlossenen) Grazer
Orpheum uraufgeführte Vaudeville-Operette „Wenn Männer schwindeln ...!“ un-
ter „dem Drucke der allgemeinen Kriegsstimmung [...] nicht den Beifall ernten,
den sie verdient hätte.“892 Wie im Falle der geschilderten Vorgänge rund um den
Hauptplatz können diese (bürgerlichen) Stimmungsartikel nicht eins zu eins mit
den tatsächlichen Gefühlslagen gleichgesetzt werden. Insbesondere gilt es hierbei,
zu beachten, dass die Berichterstattung ein bis zwei Tage alt war. Sie zeigen aber
sehr wohl, dass man zu Kriegsbeginn durchaus mehrere und teils unterschiedliche
Stimmungslagen kolportierte. Während in Deutschland die meisten Kinos zu
Kriegsbeginn geschlossen wurden, da „die Behörden eine derartige Zerstreuung in
diesen ‚ernsten Zeiten‘ für unangebracht hielten“893, führten die Grazer Kinos ihre
Filmvorführungen fort. Diese Kontinuität wurde nicht nur von einer uneinge-
schränkt journalistischen Würdigung ihrer Programmausrichtungen begleitet,
sondern auch durch den Umstand, dass die Kinosäle nicht (wie in anderen Städ-
ten) dem Militär zur Verfügung gestellt werden mussten, gewährleistet. Das
Bioskop Annenhof brachte unmittelbar nach Kriegsbeginn erste militärbezogene
Filmsequenzen (aus der Vergangenheit). Ihr „neue[s] sensationelle[s] Wochenpro-
gramm“, das „schon im Zeichen der neuesten Ereignisse“ stehe, wurde unverkenn-
bar positiv rezensiert.894 Das Edison-Theater startete kurze Zeit später mit seinen
889 Allgemeines zu den Grazer Kinos und Lichtspieltheatern in: Riegler (1985), 20–30, 38–47, 64–72,
124–127.
890 Oskar Gierke (1863–1925), Kinobetreiber, saß von 1909 bis 1911 im Grazer Gemeinderat und
wurde 1911 Ehrenmitglied des Grazer Bürgerkorps. Vgl. den Lexikonartikel „Gierke“ in: Reis-
mann/Mittermüller (2003), 152.
891 Kundgebungen im Bioskoptheater, Annenhof, in: Grazer Tagblatt, 27.7.1914, 4.
892 Sommertheater im Grazer Orpheum, in: Grazer Tagblatt, 27.7.1914 (Abendausgabe), 5.
893 Ich stütze mich hier auf den Lexikonartikel „Film (1914–18)“ von Susanne Brandt in: Hirschfeld/
Krumeich/Renz (22014), 477–479, 478.
894 Bioskop-Theater „Annenhof“, in: Grazer Tagblatt, 1.8.1914, 10.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453