Seite - 419 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Verbliebene „Kriegsfreizeit“ | 419
militärbezogenen Filmen.895 Aber auch seine Filmvorführungen wurden unver-
kennbar positiv rezensiert, sodass am Ende die Kinos nie als Orte eines verwerfli-
chen Amüsements (das dem Ernst der Zeit widerspräche) aufgefasst wurden.896
Anfang September kam es auch zur Wiedereröffnung des Ersten Grazer Lichtspiel-
theaters in der (langen) Jakominigasse/Jakoministraße.897 Im Volksblatt hieß es
dazu, dass die Leistungsfähigkeit des Ersten Grazer Lichtspieltheaters den anderen
„großen Theatern nicht nachstehen“ würde.898 Sieht man von den „patriotischen“
Programmumstellungen ab, so erfuhr in diesen Tagen auch die Zusammensetzung
des Kinopublikums eine Erweiterung. Vor dem Ersten Weltkrieg gingen prinzipiell
Frauen, Jugendliche sowie generell die Arbeiterschaft ins Kino.899 In den ersten
Kriegsmonaten bemerkten die Zeitungen oft, dass man viele Soldaten in den Sälen
sitzen sah. Mitte September stellte beispielsweise die Mittags-Zeitung fest: „Die
Kinder, die Frauen und die Reservisten, die sind heute das Kinopublikum.“900
Rückblickend zeigt sich deutlich, dass das Kino zum zentralen Ort einer preiswer-
ten und verlässlichen Freizeitgestaltung wurde. „Verlässlich“ in dem Sinne, dass die
Öffnungszeiten und das Programm eingehalten wurden. Diese cineastische Domi-
nanz kam nicht nur mangels „Konkurrenz“ zustande. Wie bei den Freibädern oder
bei anderen Veranstaltungen, gab es in den Kinos diverse Preisnachlässe für Solda-
ten.901 Seit Anfang Oktober erhielten die verwundeten Soldaten im Annenhofkino
sowie im Edison-Theater „gegen Vorweis einer Bestätigung an Wochentagen“ zur
Gänze freien Eintritt.902 Wie lange man diese Kartenpolitik aufrecht erhalten
konnte, ist unklar. Bis Dezember 1914 blieb sie definitiv aufrecht. Das Edison-The-
ater erhob aber auf andere Kinokarten einen Preisaufschlag von 2 Heller zuguns-
ten der Kriegsfürsorge. Im Juni 1915 wurde dann die „hunderttausendste Kriegs-
fürsorgekarte“ verkauft, woraufhin das Kino dem Kriegsfürsorgeamt 2.000 Kronen
übergab.903 In der zweiten und dritten Septemberwoche gastierte wieder ein Zirkus
in Graz, bevor er weiter nach Wien zog.904 Sein Zelt errichtete er im „Vergnügungs-
895 Edison-Theater [Annonce], in: Arbeiterwille, 21.8.1914, 6.
896 Allgemeines zu den damaligen Kritikpunkten an diversen Unterhaltungsformen (Schauspiel,
Film und Musik) in: Rüger (2007), 109–116; Baumeister (2005), 106–110.
897 Seit 1935 getrennt: Jakoministraße und Conrad-von-Hötzendorf-Straße.
898 Das erste Grazer Lichtspieltheater, in: Grazer Volksblatt, 2.9.1914, 5.
899 Baacke/Schäfer/Vollbrecht (1994), 18 f.
900 Kriegsbilder im Kino, in: Grazer Mittags-Zeitung, 19.9.1914, 3.
901 Vgl. z. B. Edison-Theater [Annonce], in: Arbeiterwille, 2.8.1914, 11.
902 Die Kinotheater für die Verwundeten, in: Grazer Tagblatt, 7.10.1914 (2. Morgenausgabe), 2; Die
Kinos für die Verwundeten, in: Grazer Mittags-Zeitung, 7.10.1914, 3.
903 Das Kino für die Kriegsfürsorge, in: Arbeiterwille, 15.6.1915, 4.
904 Zirkus Krone, in: Grazer Tagblatt, 17.9.1914, 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453