Seite - 420 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen420
prater“ (der stets Bestandteil der Herbstmesse gewesen war und der gegenüber der
Industriehalle lag).905 Erwähnenswert ist hierbei die Tatsache, dass die bürgerliche
Presse einige Male betonte, dass der Zirkus Charles im Zuge der „Sprachbereini-
gung“ seinen Namen „eindeutschte“. Vor allem die deutschnationalen Zeitungen
betonten, dass der Zirkus nun „Karl Krone“ und nicht mehr „Charles“ hieß. Mehr-
mals wies sie daraufhin, wie schön es zu vernehmen sei, dass der Zirkus („ein ur-
deutsches Unternehmen“906) auf seinem Zug den Namensschriftzug (wenngleich
provisorisch) „eindeutschte“. Die Zeitungen lobten zudem die Tatsache, dass der
Zirkus einen Teil seiner Einnahmen den Familien der Einberufenen spenden
werde. Des Weiteren akzentuierten sie, dass Kinder (bis zum 14. Lebensjahr) und
Soldaten (bis zum Rang eines Feldwebels) nur die Hälfte zahlen mussten.907 Mit
anderen Worten: Der Zirkus bestand die Einheitsprüfungen von Seiten der Presse,
wenngleich die bürgerliche Evaluierung rigoroser war als die sozialdemokratische
Prüfung. Dem war so, weil der Arbeiterwille sich der „Sprachbereinigung“ wider-
setzte und sich daher nur freute, dass wieder ein Zirkus in die Stadt kam, der im-
merhin ein bisschen Normalität in diese ernste Zeit zu bringen versprach. Alle
Zirkusvorstellungen waren letztendlich gut besucht. Daran zeigt sich erneut, dass
es durchaus einige Nischen gab, die in den ersten Kriegswochen Freizeitaktivität
ermöglichten. Aus der Rückschau erscheint es ein wenig kurios, dass, während die
Leute im Zirkus saßen, am Bahnhof Hunderte von Verwundeten und Kriegsgefan-
genen ankamen, die wiederum von einigen Männern und Frauen (in ihrer Freizeit
und unentgeltlich) erstversorgt wurden. Diese grotesk anmutende Situation wurde
aber nie von den Zeitungen zur Sprache gebracht. Nirgendwo bezeichnete die
Presse den Zirkusbesuch (oder Kinobesuch) als verwerflich. Im Gegenteil. Am
Ende „kam Groß und Klein aus dem Lachen nicht mehr heraus.“908 Wenn man
bedenkt, dass die Presse nahezu jedes „patriotische“ und „unpatriotische“ Moment
– sowohl im Großen als auch im Kleinen – verzerrend instrumentalisierte, ist es
erstaunlich, dass letzten Endes doch einige Alltagsmomente (wie der Zirkus) die
Einheitsprüfungen bestanden haben. In allen Zeitungsausgaben, in denen man
905 Zum „Vergnügungsprater“ vgl. die Notiz in: Die Stadt Graz – ihre kulturelle, bauliche, soziale und
wirtschaftliche Entwicklung in den letzten sechzig Jahren nebst kurzen geschichtlichen Rückbli-
cken. Herausgegeben aus Anlaß der Achthundertjahrfeier 1128–1928 (1928), 290.
906 Der „Zirkus Charles“ – verdeutscht, in: Grazer Tagblatt, 28.8.1914 (Abendausgabe), 2. Vgl. des
Weiteren: Ankunft des Zirkus Krone, in: Grazer Tagblatt, 2.9.1914 (Abendausgabe), 8; Der Zirkus
Krone (vormals „Charles“), in: Grazer Tagblatt, 4.9.1914 (Abendausgabe), 2.
907 Zirkus Krone, in: Arbeiterwille, 12.9.1914, 3.
908 Premierabend in Krone, Europas größte Zirkusschau, in: Grazer Mittags-Zeitung, 11.9.1914, 3.
Vgl. auch: Zirkus Krone, in: Tagespost, 12.9.1914, [ohne Seitenangabe].
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453