Seite - 424 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Schlussbetrachtung424
ten darüber, wie man sich in der „Heimat“ (in Graz, in der Steiermark usw.) zu
verhalten habe.
Um dies nun näher ausführen zu können, bedarf es aus meiner Sicht einer Dar-
stellung des Konzepts der Kriegslandschaft nach Kurt Lewin.5 Der Grund, warum
ich in diesem Kapitel auf Lewin eingehen werde, liegt darin, dass Bernd Hüppaufs
Überlegungen hinsichtlich der „Heimatfront“ teilweise auf Lewins Frontenaufriss
Bezug nehmen. Kurt Lewins Ansatz stellt weder meinen theoretischen Ausgangs-
punkt noch meinen Fluchtpunkt dar. Er fungiert ausschließlich als konzeptioneller
Referenzpunkt, der das Herantreten an Hüppaufs Abwägungen erleichtert.
Kurt Lewin (1890–1947) meldete sich 1914 freiwillig für den Dienst an der
Front und schied 1918 als Leutnant der Feldartillerie aus. Nach dem Ersten Welt-
krieg begann seine Karriere als Psychologe und Philosoph, wobei er vor allem
wegen seines Beitrags zur Gestaltungspsychologie und seiner Form der Feldana-
lyse wissenschaftliches Renommee erlang. Der hier im Zentrum stehende Artikel
„Kriegslandschaft“6 erschien 1917 in der Zeitschrift für angewandte Psychologie.
Diesen theoretischen Kurzaufsatz verfasste er mit hoher Wahrscheinlichkeit wäh-
rend seines Lazarettaufenthalts (1916/17) – einer Zeit, als Lewin sich auf seine
(noch im Krieg erfolgte) Promotion vorbereitete. Der sechs Seiten umfassende
Text enthält weder eine Schilderung von Gewalterfahrungen im Krieg7 noch eine
(romantisierte) Stilisierung des Kriegs. Ebenso wenig finden sich in ihm etwaige
humanistische, wie beispielsweise pazifistische, Haltungen. Die Lektüre des Tex-
tes bereitete mir enorme Schwierigkeiten.8 Eine der Schwierigkeiten rührte bei-
spielsweise daher, dass der Begriff „Kriegslandschaft“ nur im Titel des Beitrags
aufscheint. Im Text selbst sowie im Anmerkungsapparat findet sich das Wort nicht
mehr.9
5 Der hier im Vordergrund stehende Text von Kurt Lewin wurde erstmals 1917 gedruckt (siehe
unten).
6 Ein Neuabdruck findet sich in Kurt Lewins Gesamtwerkausgabe: Lewin (1982).
7 Zu den hier nicht näher thematisierten Ausnahmen zählen z.
B. folgende Satzstücke: Etwas „Bar-
barisches wie das Verbrennen von Fußböden, Türen und Möbeln“. Außerdem rekurriert Lewin
auf die „Vergeltungswut“, vgl. Lewin (1982), 320, 322, 323.
8 Der Text von Kurt Lewin wurde im Laufe der Zeit unterschiedlich interpretiert. Ich behaupte
nicht, dass ich ihn „richtig“ interpretiere. Verweise auf den Aufsatz „Kriegslandschaft“ finden sich
in: Musner (2013), 271 und (2008), 52; Dornik (2013), 38
f.; Günzel (2008) und (42008), 124–127;
Schrage (2004); Lück (1996); Hüppauf (1995), 324 f. und (1991), 113 f.; Graumann (1982), 13 f.
Eine einzeilige Notiz bezüglich Lewin auch in: Leonhard (2014), 326; Heymel (2007), 254 f. Die
von Helmut Konrad und Nicole-Melanie Goll konzipierte Jubiläumsausstellung „Die Steiermark
und der ‚Große Krieg‘“ im Grazer Museum im Palais (28. Juni 2014 bis 5. Juli 2015) richtete sich
nach Kurt Lewins Kriegslandschaft aus, vgl. den Ausstellungskatalog: Konrad/Goll (2014).
9 Lewin verweist in seinen Fußnoten (oder in seinem Text) nie auf ein anderes Buch oder auf ei-
nen anderen Aufsatz. Diese Tatsache lässt sich vermutlich darauf zurückführen, dass der Text an
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453