Seite - 425 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
Bild der Seite - 425 -
Text der Seite - 425 -
425Stadtlandschaft
im „Volkskrieg“ |
Obwohl Lewin sein Konzept „nur“ auf wenigen Seiten entfaltet, führt er viele
Begriffe ein oder definiert bekannte Begriffe um. Lewin verwendet zum Beispiel
Begriffe wie: Frontzone, Grenze der Gegend, Gefahrzonencharakter, Gefahrzone,
Grenzzone, Stellungszone, Stellungsinseln, Landinseln im Stellungsbereich, Gefahr-
inseln, Kriegsinseln, Gefahrpunkte, Gefahrstellen, Kriegsmarsch, Tagesmarsch, Rei-
semarsch, Gefechtslandschaft, Gefechtswelt, Gefechtsfeld, Feuerstellung, Friedens-
dinge, Gefechtsdinge und so weiter. Einige dieser Begriffe dürfen jedoch nicht nach
dem heutigen Sprachgebrach interpretiert werden. Der „Kotext“ und der „Kontext“
halfen mir nicht sonderlich weiter. Ferner konnte ich nur mühselig seinen Begriffs-
synonymen und seinen Unterscheidungen folgen. So unterscheidet Kurt Lewin bei-
spielsweise zwischen sinnhaften Figuren und (aus meiner Sicht irgendwie) anders
konzipierten Ländern. Sein „phänomenologischer“ Begriffshaushalt beschreibt in
der Regel diverse Zonen und Dinge, die die (nicht ausschließlich „natürlich“ ge-
dachte) Front ausmachen. Den Anfang macht hierbei seine strikte „phänomenolo-
gische“ Raumtrennung in eine sogenannte Kriegslandschaft und in eine Friedens-
landschaft.10 Die Friedenslandschaft entspricht in Kurt Lewins Augen hauptsächlich
der „Heimatfront“ und dem Etappenraum, weswegen sie nicht mit einem Raum zu
Friedenszeiten verwechselt werden darf. Die Qualitäten dieser beiden (nicht strikt
„natürlich“ gedachten) Landschaften sind kategorial entgegengesetzt, gleichwohl
eine Friedenslandschaft in eine Kriegslandschaft transformiert werden kann. Der
umgekehrte Transformationsprozess verläuft dagegen weniger schnell.
Im Zentrum seiner kompakten Überlegungen steht die (nie explizit als solche
bezeichnete) Kriegslandschaft. Lewins Kriegslandschaft entspricht ungefähr unse-
rem heutigen Begriff der „Front“. Konkret meint er hier die Front am Land. Den
„dreidimensionalen“ Luft- und Tiefseekrieg thematisiert Lewin nicht, was unter
Umständen darauf zurückzuführen ist, dass sich auf See und in der Luft keine
(weiter unten beschriebene) Kriegslandschaft finden ließe.
Die Front (am Boden)11 splittet Kurt Lewin wiederum in mehrere Zonen auf.
Wenn man sich zum Beispiel von der Etappe der Front nähere, so komme es in
Lewins Augen zu einer „eigentümliche[n] Umformung des Landschaftsbildes.“12
Die Kriegslandschaft unterscheidet sich von der Friedenslandschaft durch ihre
nach vorne hin gerichtete Begrenztheit, der „ein ‚Nichts‘ folgt“.13 Und diese „Be-
einem Ort ohne Bibliothek verfasst wurde (z. B. einem Lazarett ohne Bibliothek).
10 Konträr zu dem Begriff „Kriegslandschaft“ findet sich der Begriff „Friedenslandschaft“ im Text,
vgl. Lewin (1982), 316.
11 Kurt Lewin denkt primär an die Westfront (aus deutscher Sicht), wo er stationiert war. Ferner
betont Lewin, dass sich der Text auf seine (eigenen) Kriegserfahrungen als Artillerist stützt.
12 Lewin (1982), 315.
13 Ebd., 316.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453