Seite - 426 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Schlussbetrachtung426
grenztheit der Gegend tritt beim Anmarsch zur Front bereits beträchtliche Zeit
vor dem Sichtbarwerden der Stellung ein.“14 Konträr dazu läuft die Friedensland-
schaft in jede Richtung „ungefähr gleichmäßig ins Unendliche“, wenngleich sie je
nach „Formation und dem Gelände in den verschiedenen Richtungen verschie-
den schnell und leicht fortschreiten kann.“15 Unter der Friedenslandschaft versteht
Lewin, wie erwähnt, im Großen und Ganzen die „Heimatfront“ und die Etappe,
die als solche von ihm kaum Beachtung erfahren. Die Merkmale der Friedens-
landschaft lassen sich daher weitgehend nur rekursiv über die Charakteristika der
Kriegslandschaft erschließen. Das Hauptkriterium einer Friedenslandschaft wird
dennoch von Lewin explizit benannt. Die Friedenslandschaft sei im Vergleich zur
Kriegslandschaft „rund, ohne vorne und hinten.“16 Die Kriegslandschaft konsti-
tuiert sich wiederum durch „ein Vorn und Hinten, und zwar ein Vorn und Hin-
ten, das nicht auf den Marschierenden bezogen ist, sondern der Gegend selbst fest
zukommt.“17 Es kommt – zumindest nach Kurt Lewin – zu einer „Veränderung
der Landschaft selbst“, wobei die Ausrichtung nach vorne nicht zwangsläufig „das
Bewußtsein der nach vorn wachsenden Gefährdung und der schließlichen Un-
zulänglichkeit“ impliziert.18 Diese Grundausrichtung spielt nicht für jede Bewe-
gung in der Kriegslandschaft eine Rolle. Das zeigt sich an den einzelnen Zonen der
Kriegslandschaft. Lewin akzentuiert hier hauptsächlich die Gefahrzone sowie die
Gefechtszone, die dem vorderen Teil der Kriegslandschaft zuzurechnen sind. Für
eine weitere – im hinteren Bereich der Kriegslandschaft liegende – Zone hat Kurt
Lewin keinen eigenen Begriff. Sie unterscheidet sich aber von den anderen beiden
Zonen dadurch, dass sie primär „sicherer“ ist. So ist beispielsweise das Moment
der steigenden sowie gerichteten Gefahr erst Teil der dynamischen (weil ständig
neu definierten) Gefahrzone, wo aber noch kein klassisches Gefecht ausgetragen
wird.19 Im hinteren Bereich der Kriegslandschaft ließe sich dagegen von keiner
gerichteten Gefahr sprechen – lediglich von einer gerichteten Landschaft. Kommt
es zum Gefecht, werden Teile der Gefahrzone zur Gefechtszone. Dabei handelt es
sich wohl um den markantesten unter Lewins geschaffenen oder zumindest neu
definierten Begriffen. In der Gefechtszone findet das Gefecht statt. Die (lebensbe-
drohliche) Gefahr erreicht hier nach Meinung von Kurt Lewin ihren Höhepunkt.
Eine Gerichtetheit der Landschaft ist hier für den Infanteristen nicht mehr gege-
ben. Denn das gerichtete „Vorne“ gibt es in der Gefechtszone, dem vordersten Teil
14 Ebd.
15 Ebd.
16 Ebd.
17 Ebd.
18 Ebd.
19 Ebd., 316 f.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453