Seite - 435 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Notwendige „Heimatfront“ | 435
setzung der Produktion, die Einbringung der Ernte, kurz die Aufrechterhaltung, ja
Verstärkung des wirtschaftlichen Lebens.“43
• „Noch einmal: Alles muß jetzt Soldat sein. Nicht bloß die Einberufenen, auch die
Daheimbleibenden. Die bürgerliche, die bäuerliche Arbeit gehört so gut zur Ver-
teidigung und Beschützung des Vaterlandes wie die Schlacht auf offenem Felde.
[...] Alle sind wir Soldaten.“44
Das Spektrum an ordnungsspendenden Unterlassungs- und Aufforderungsappel-
len war breit. Als Themen fielen darunter zum Beispiel die Arbeitslosigkeit, die
Geldinstitute, der Kleingeldrummel, die Hamsterkäufe, die Gerüchtezirkulation,
die Spionage-Thematik, die „Serbenfreunde“, die Denunziationen und die Zusam-
menstöße. Ebenso forderte die Presse, dass die Zivilinfrastruktur (Post-, Telefon-,
Telegrafen-, Geld- oder Bahnverkehr usw.) „wieder normal funktionieren“45 müsse.
Abseits dieser Verbesserungsvorschläge appellierten die Zeitungen an die Grazer
Bevölkerung, dass sie besonnen und wachsam sein solle. Dies sei anhand eines
Artikels des klerikal-konservativen Volksblatts wiedergegeben, der der Redaktion
zufolge von der „Frankfurter Zeitung“ (Frankfurt/Main) übernommen wurde:
„Kopflosigkeit im Inland ist schlimmer als eine verlorene Schlacht im Felde.“46 Der-
artige Appelle zur Besonnenheit finden sich zwar mehrmals in der Grazer Presse,
sie konnten jedoch nie die Rede von der „kriegsentscheidenden“ Front aushebeln.
Das alles bedeutet aber noch nicht, dass man sich an die Zeitungsappelle (die viel-
fach ihren jeweiligen und seit Jahren eingeübten gesellschaftspolitischen Program-
men und/oder den Staatsvorgaben folgten) hielt. Im Grunde genommen wurden
von mir nur sehr wenige Presseanweisungen gefunden, denen man von Seiten der
Grazer Bevölkerung wirklich Folge leistete. Dem Appell, man solle den bürgerli-
chen Kinder- und Jugendgruppen beitreten, war beispielsweise Erfolg beschieden.
Dass man einem Zeitungsappell folgte, entsprach aber nicht der Regel. Es zeigte
sich, dass die Grazer und Grazerinnen in den ersten Kriegsmonaten mehrfach ihre
verständlichen und nachvollziehbaren Ängste und Sorgen über die Belange des
Staats stellten. In einem wesentlichen Fall taten sie es aber nicht und dieser ist für
mich von enormer Bedeutung: Es gab im ersten Kriegsjahr keinen groß angeleg-
ten Widerstand gegen den Weltkrieg (gegen den anfänglichen „Serbienkrieg“ sehr
43 Auf zur Arbeit!, in: Tagespost, 8.8.1914, 1.
44 Heimgärtners Tagebuch, in: Heimgarten (1914), Nr. 12, 939.
45 Auf zur Arbeit!, in: Tagespost, 8.8.1914, 1.
46 Kriegsregeln für die Zuhausebleibenden, in: Grazer Volksblatt, 20.8.1914, 4.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453