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Österreich-Ungarn in der internationalen Radiumökonomie 31
Das vorliegende Kapitel fragt danach, unter welchen Bedingungen sich die Radio-
aktivitätsforschung in den deutschsprachigen Ländern der Monarchie entwickelte. Der
Blick richtet sich zunächst auf die im Land vorhandenen materiellen Ressourcen. Der
Zugang zu uranhaltigen Gesteinen war eine Grundvoraussetzung dafür, radioaktive
Präparate herzustellen und radioaktive Phänomene zu erforschen. Der Fokus liegt zu-
dem auf den Akteuren, die sich der Radioaktivitätsforschung widmeten und die das
Forschungsgebiet an den Universitäten Österreichs zu etablieren suchten. Welchem
Denkstil hingen sie an und welche Strategien verfolgten sie, um die Bedingungen für
ihre wissenschaftliche Arbeit zu optimieren ?
Die Akkumulation radioaktiver Forschungsmaterialien spielte eine entscheidende
Rolle, um die Haupt- und Residenzstadt Wien innerhalb der Monarchie, aber auch
international, zu einem Zentrum der Radioaktivitätsforschung zu machen. Der Ver-
leih, Verkauf und Tausch radioaktiver Präparate erfolgte nicht nur im nationalen Kon-
text, er diente den Wiener Radioaktivisten und Radioaktivistinnen auch dazu, sich im
entstehenden internationalen Netzwerk der Radioaktivitätsforschung eine einflussrei-
che Position zu verschaffen. Der Spielraum für die Radiumforschung erweiterte sich,
ähnlich wie im Deutschen Reich mit den Kaiser-Wilhelm-Instituten, durch die Grün-
dung des außeruniversitären Instituts für Radiumforschung in Wien. Der Einfluss des
Instituts, das die Interessen der deutschsprachigen Radioaktivistengemeinschaft der
Österreichisch-Ungarischen Monarchie machtvoll vertrat, fand seinen Niederschlag in
der Schaffung von Standards zur Messung und Bezeichnung (Nomenklatur) radioak-
tiver Zerfallsprozesse, die über den lokalen und nationalen Rahmen hinausgehende
Gültigkeit beanspruchten.
2.1 Österreich-Ungarn in der internationalen Radiumökonomie
Die Entdeckung der Radioaktivität durch den französischen Physiker Henri Becquerel
1896 läutete im ausgehenden 19. Jahrhundert den Beginn einer neuen Ära ein. Der
spontane Zerfall von Atomen stellte die Vorstellungen vieler Physiker über den Aufbau
der Materie grundsätzlich in Frage.4 Drei Substanzgruppen standen im Mittelpunkt
des wissenschaftlichen Interesses : die Uran-Radium-Gruppe, die Thorium-Gruppe
und die Uran-Actinium-Gruppe.5 Marie Curie hatte gemeinsam mit ihrem Mann
4 Kragh weist zu Recht darauf hin, dass die in der wissenschaftshistorischen Literatur weit verbreitete An-
sicht, wonach die Physikergemeinschaft im späten 19. Jahrhundert strikt deterministisch dachte und
ganz im Newtonschen Weltbild verhaftet war, unzutreffend ist. Vgl. Kragh 1997, 62.
5 Vgl. Boltwood 1911, 344.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369