Seite - 206 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung in Österreich,
1932–1938206
nate Blau von London aus zu unterstützen, indem er ihre Ilford-Platten den Strato-
sphärenflügen seiner Kollegen sowie einer britischen Expedition nach Jan Mayen im
Sommer 1938 mitgab.134 Nachdem Paneth an die Universität Durham gewechselt war,
riss der Kontakt 1939 ab. Blaus rastloses Exil setzte ihrer Arbeit mit der fotografischen
Methode bald ein Ende.
Blaus und Wambachers Arbeiten waren Teil einer im lokalen Kontext entstandenen
Forschungsrichtung, die ohne Einbindung in das österreichweit verzweigte Radioakti-
visten-Netzwerk kaum möglich gewesen wären. Auf nationaler Ebene handelt es sich
um eines der wenigen Beispiele, in denen die akademische Provinz Österreichs dem
Zentrum Wien Ressourcen offerierte und nicht umgekehrt. Victor Hess und Friedrich
von Lerch, die selbst mehr als einmal vom Ressourcentransfer aus Wien profitiert hat-
ten, sahen sich in der Pflicht, die dritte Generation von Exner-Schülern zu unterstüt-
zen. Gleiches galt auch für den Exil-Österreicher Fritz Paneth, der dem Institut für
Radiumforschung nach seinem Fortgang aus Wien verbunden blieb und Blau in be-
sonderer Weise unterstützte. Blaus Versuche, alternative und wissenschaftliche Gren-
zen überschreitende Kooperationsbeziehungen aufzubauen, wurden aus Furcht vor
möglicher Konkurrenz von den eigenen Kolleginnen und Kollegen torpediert. So
verhinderten Mitglieder der Wiener Kernforschungsgruppe, dass Blau ihre Kontakte
zur Filmfabrik Wolfen in ähnlichem Umfang pflegen konnte wie Schopper in Stuttgart.
Dass Blau letztlich auch in der internationalen scientific community der Höhenstrah-
lungsforschung ausgebremst wurde, hat einerseits viel mit rassischer Diskriminierung
zu tun. Die Mehrheit der Wiener Gruppe musste diese Erfahrung nicht machen. Ihr
Zurückgeworfensein auf lokale und regionale Netzwerke kann andererseits auch als
eine Erfahrung gedeutet werden, die bald die Mehrheit der Kernforscherinnen und
Kernforscher in Österreich machen sollte.
4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss
4.2.1 Abzug ausländischen Kapitals
Während sich die Kernforschung in den Vereinigten Staaten und in einigen europäi-
schen Ländern mit Unterstützung privater Mäzene und Stiftungen stürmisch weiter
entwickelte, verschlechterte sich die finanzielle Situation der Radioaktivitäts- und
Kernforschung in Österreich seit den frühen 1930er Jahren spürbar. Wirtschaftliche
134 Vgl. AMPG, III. Abt., Rep. 45 NL Paneth, Nr. 17/19 : Paneth an Blau vom 30.4.1938 und 9.6.1938.
Siehe auch AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 276 : Paneth an Meyer vom 26.9.1938. Zu
der Expedition siehe King/Jennings 1939, 123–124.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369