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Das Zentrum etabliert sich 79
dem die Kommission die Einheit Curie erfolgreich implementiert hatte, sahen viele
Kommissionsmitglieder die Zeit gekommen, die offene Flanke der radioaktiven No-
menklatur ein für alle Mal zu schließen.
2.4.3 Das Scheitern der Nomenklaturfrage im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn
Meyer war international mittlerweile so anerkannt, dass ihn die Internationale Radi-
umstandard-Kommission für weitere verantwortungsvolle Tätigkeiten in Betracht zog.
Ihre Mitglieder entschieden, dass der für den Sommer 1915 geplante III. Kongress für
Radioaktivität und Elektronik in Wien stattfinden sollte.234 War auf dem I. Kongress
in Brüssel die Frage eines Radiumstandards auf den Weg gebracht worden, so sollte in
Wien die ungeklärte, stark umstrittene Frage der radioaktiven Nomenklatur endgültig
gelöst werden.235 Der wachsende Nationalismus, der auch die internationale Radioak-
tivistengemeinschaft erfasste, erschwerte eine einvernehmliche Lösung.
Um das Gewirr aus unterschiedlichen Bezeichnungen zumindest partiell zu verein-
heitlichen, kam es in einzelnen Ländern zu dezentralen Sprachregelungen.236 Der
Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn stand in dieser Hinsicht zwischen allen Stühlen.
Deutsch war als Verkehrssprache in wissenschaftlichen Kreisen zwar allgegenwärtig.237
Tschechischsprachige Radioaktivisten aus Böhmen nutzten nun aber die Gelegenheit,
um ihren nationalistischen Forderungen Nachdruck zu verleihen, auch in der Radio-
aktivitätsforschung ihre eigene Sprache zu verwenden.238 1912 unternahmen sie den
Versuch, mit Unterstützung Marie Curies die tschechische Nomenklatur zu vereinheit-
lichen. Die Vereinheitlichung sollte auf dem VI. Internationalen Kongress für allge-
meine und ärztliche Elektrologie und Radiologie in Prag beschlossen werden. Der
Prager Kongress stand mit der für 1915 geplanten Wiener Veranstaltung zwar nicht in
unmittelbarer Konkurrenz, da er sehr stark auf die medizinische Seite der Radioaktivi-
tät abhob.239 Er bot den tschechischen Radioaktivisten aber eine willkommene Gele-
234 Der I. Kongress hatte 1909 in Brüssel stattgefunden. Vgl. Makower 1910, 478–479.
235 Vgl. CUL, RC, Add 7653, H 64 : Rutherford an Hahn vom 19.11.1913. Siehe auch Rutherford 1913,
424.
236 Vgl. CUL, RC, Add 7653, H 42 : Soddy an Rutherford vom 2.10.1913 und ebd., S 169 : Hahn an Ruth-
erford vom 19.6.1910.
237 Vgl. Scharf 1998, 98.
238 Vgl. zu den Wurzeln des deutsch-tschechischen Sprachenstreits in den Naturwissenschaften Seidlerová
1998, 232–235.
239 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 218 : Hönigschmid an Meyer vom 4.5.1912. Der
Prager Kongress war der sechste in einer Folge von Kongressen, welche die Commission permanente in-
ternationale des congrès internationaux d’électrologie et de radiologie médicale alle zwei Jahre veranstal-
tete. Die vorangegangenen Kongresse hatten in Paris (1900), Bern (1902), Mailand (1906), Amsterdam
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369