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3.
Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–1932
»Scientific revolution is the business not of the poorest
but of the richest among the new entrants.«1
Die im Grenzgebiet von Physik und Chemie angesiedelte frühe Radioaktivitätsfor-
schung spaltete sich in den 1920er Jahren immer stärker in eine physikalische und eine
chemisch-präparative Richtung auf. Die Methode, mit Strahlen oder Partikeln Proben
zu beschießen und dadurch Erkenntnisse über den subatomaren Aufbau der Materie
zu gewinnen, wurde bestimmend für die von den Zeitgenossen so bezeichnete »Atom-
zertrümmerungsforschung«. Sie wurde im physikalischen Bereich mit der Entdeckung
des Neutrons 1932 von der Kernphysik im engeren Sinne abgelöst. Die Nuklearche-
mie als Untergruppe der physikalischen Chemie beschäftigte sich hingegen mit der
Identifizierung und Trennung von Isotopen.2 Anders als beispielsweise in Großbritan-
nien oder im Deutschen Reich, wo sich ganze Institute schon bald auf eine der beiden
Forschungsrichtungen konzentrierten, fand eine solche institutionelle Trennung am
Institut für Radiumforschung nicht statt.3
Nach dem Untergang der Monarchie entstand mit Deutsch-Österreich beziehungs-
weise der Republik Österreich ein Rumpfstaat, der geographisch, politisch und wirt-
schaftlich ins Hintertreffen zu geraten drohte. Wie wirkte sich diese grundlegend ver-
änderte Situation auf die Fortführung der Radioaktivitätsforschung in Österreich aus ?
Es wird im Folgenden gezeigt, dass das zentralistische Erbe der Ersten Republik für die
Entwicklung der Radioaktivitäts- und Atomzertrümmerungsforschung ambivalente
Folgen hatte. Denn einerseits konnte man speziell in Wien auf Ressourcen zurückgrei-
fen, die in der Vorkriegszeit akkumuliert worden waren. Andererseits stellten die poli-
tischen Umwälzungen das Selbstverständnis und den Anspruch von Radioaktivisten
und Radioaktivistinnen aus Österreich in Frage, den Ton in ihrem Forschungsfeld mit
anzugeben. Das verarmte Land war auf den Zufluss von ausländischen Ressourcen
angewiesen, damit die Radioaktivitätsforschung weitergeführt und die Atomzertrüm-
1 Bourdieu 1999, 40.
2 Vgl. Coffey 2008, 209.
3 Vgl. Roqué 2001b, 127.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369