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Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–193294
merungsforschung in Wien als neues Forschungsfeld etabliert werden konnten. Das
vorliegende Kapitel untersucht, welche Rolle die vorhandenen Ressourcen und natio-
nalen Interessenlagen im Verhältnis zu internationalen Einflüssen spielten, um die
Radioaktivitäts- und Atomzertrümmerungsforschung in Österreich aufrechtzuerhalten.
3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918
Der Forschungs- und Lehrbetrieb war an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck
während des Krieges und unmittelbar danach mit Einschränkungen weitergegangen.
In der frühen Nachkriegszeit drohten allerdings schwerwiegende politische, wirtschaft-
liche und gesellschaftliche Probleme das wissenschaftliche Leben lahm zu legen. Die
staatliche Identität der Länder mit mehrheitlich deutschsprachiger Bevölkerung des
untergegangenen Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn – Kärnten, Österreich unter
und ober der Enns, Steiermark, Vorarlberg und Salzburg – war zunächst ungeklärt.4
Die deutsch-österreichische Nationalversammlung trat am 21. Oktober 1918 zusam-
men und wählte eine Woche darauf den Staatsrat und die erste Staatsregierung. Am
12. November 1918 rief die neue Regierung die Republik aus. Zugleich kam ein Par-
lamentsbeschluss zustande, der das Land zu einem Teil des Deutschen Reiches erklärte.
Der Beschluss blieb allerdings folgenlos, da er auf deutscher Seite nicht beachtet wurde
und schließlich am Einspruch Frankreichs scheiterte. Der Anschluss Deutsch-Öster-
reichs an das Deutsche Reich wurde im Vertrag von Saint-Germain vom September
1919 offiziell verboten.
Die Erste Republik kämpfte mit gravierenden Strukturproblemen. Ausgerichtet auf
den Wirtschaftsraum der untergegangenen Monarchie, war sie auf den Import von
Rohstoffen, Nahrungsmitteln und Energie angewiesen. Ernteausfälle und eine
schrumpfende Industrieproduktion ließen das heimische Warenangebot sinken.5 Der
Staatshaushalt war durch horrende Kriegsschulden belastet, hinzu kamen neue Ausga-
ben für die Arbeitslosenunterstützung, die Subvention von Lebensmitteln und den
Erhalt des aus der Monarchie übernommenen Beamtenapparates. Im Sommer 1921
geriet die Geldentwertung außer Kontrolle, und im Herbst des darauf folgenden Jahres
erreichte die Hyperinflation ihren Höhepunkt.
Die Inflation stürzte das wissenschaftliche Personal an den Universitäten und außer-
universitären Forschungseinrichtungen Österreichs in blanke materielle Not. Die
meisten Professoren und Assistenten hatten durch die Geldentwertung ein derart ge-
4 Vgl. Saage 2008.
5 Vgl. Hanisch 2008.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369