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Das regionale Netzwerk formiert sich 45
2.2.2 Kooperationsformen der Mitglieder
Dass Exner die Themenwahl seiner Schüler beziehungsweise späteren Assistenten beein-
flusste, steht außer Zweifel. Ihre Forschungen waren weit gefächert, was in Exners eige-
nen, sehr breit angelegten wissenschaftlichen Interessen begründet gewesen sein mochte.
Sie reichten von erkenntnistheoretischen Fragestellungen über Luftelektrizität und die
Elektrizitätserzeugung durch galvanische Elemente bis hin zur Spektralanalyse und
Farbentheorie. Die Radioaktivitätsforschung war ein weiterer Bereich im Spektrum
physikalischer Forschungsgebiete, die von den Mitgliedern des Kreises gepflegt wurden
und die sich wechselseitig befruchteten.74 Der Exner-Kreis war von flachen Hierarchien
zwischen Schülern und Lehrer geprägt, was Exner förderte, indem er früh Verantwort-
lichkeiten an seine Schüler delegierte. Mit der Zeit entwickelten diese ausgehend von
gemeinsamen Forschungsinteressen Kooperationen, in die Exner selbst nicht mehr in-
volviert war.75 Die Kooperationsverhältnisse des Exner-Kreises lassen sich in drei Kate-
gorien unterscheiden : erstens das gemeinsame Experiment, zweitens die wechselseitige
Inspiration zur Aufnahme neuer Forschungsgebiete und drittens Arbeiten, bei denen
die Theorie des einen durch das Experiment des anderen geprüft wurde.
Stefan Meyer, ein Schüler Exners und seit 1897 Assistent Ludwig Boltzmanns am
Physikalisch-Chemischen Institut der Universität Wien, verkörperte in seinem Koope-
rationsverhalten die erste Kategorie. Er begann im Herbst 1899, die magnetischen
Eigenschaften des Radiums zu bestimmen. Seine Untersuchung baute auf gemeinsa-
men Arbeiten mit Gustav Jäger am Institut für Theoretische Physik der Universität
Wien auf.76 Er nutzte dafür ein relativ schwaches Radiumpräparat, das ihm Friedrich
Giesel geliehen hatte.77 Meyer setzte seine Ablenkungs-Experimente mit Egon von
Schweidler fort, der wie die meisten Mitglieder des Exner-Kreises umfangreiche Erfah-
rungen auf dem Gebiet der atmosphärischen Elektrizität und der Leitfähigkeit in Ga-
sen besaß. Für Schweidler lag es daher nahe, sich mit den ionisierenden Eigenschaften
der radioaktiven Strahlen zu beschäftigen. Gemeinsam entdeckten sie die magnetische
Ablenkbarkeit der radioaktiven Strahlung.78 Meyer und Schweidler arbeiteten zudem
74 Luftelektrizitätsforscher des frühen 20. Jahrhunderts erhofften sich von der Radioaktivitätsforschung
Aufschluss über die Herkunft geladener Teilchen in der Atmosphäre. Sie sahen sich in ihren Annahmen
bestätigt, als in der Luft radioaktive Substanzen nachgewiesen wurden. Vgl. Ceranski 2012, 51.
75 Vgl. Crawford 1992a, 100–101. Siehe zu ähnlich guten Kooperationsverhältnissen am Laboratoire Curie
Davis 1995, 350.
76 Jäger und Meyer begannen 1897 mit systematischen Messungen der Magnetisierungszahlen von Flüssig-
keiten. Vgl. Reiter 2000, 109–112.
77 Vgl. Bischof 2004, 46.
78 Vgl. Soukup 2004, 175–176, 179.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369