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Kernforschung für die Alliierten – ein
Epilog312
nicht daran interessiert, Stetter für französische Dienste anzuwerben.25 Dagegen tat
er alles, um Stefan Meyer für das während des Krieges erlittene Unrecht zu entschädi-
gen und symbolisch in die Wissenschaftsgemeinschaft wiederaufzunehmen. Dies
schloss auch Berta Karlik ein, die nach Ortners Entlassung das Institut für Radiumfor-
schung faktisch leitete.26 Und sogar Gustav Ortner profitierte möglicherweise davon,
dass Meyer in Paris ein gutes Wort für ihn einlegte. Der US-amerikanische Geheim-
dienst meldete jedenfalls, dass Ortner erst aus der Sowjetunion nach Wien zurückkeh-
ren durfte, nachdem Frédéric Joliot in Moskau interveniert hatte.27
6.2 Die Alliierten als Arbeitgeber
Die Alliierten im besetzten Österreich und Deutschland gerieten schon bald in einen
unverhohlenen Wettkampf um die besten Köpfe, mit deren Hilfe sie ihre jeweiligen
Kernenergieprojekte weiterentwickeln wollten.28 Die Alliierten zählten insofern auch
zu den ersten Auftraggebern und sicherten damit eine bescheidene Existenz. Im sow-
jetisch besetzten Wien entlohnte der Geheimdienst kleinere Forschungsaufträge mit
dringend benötigten Nahrungsmittelrationen und mit Zigaretten.29 Ortner wurde
nach seiner Rückkehr aus Moskau dafür bezahlt, vor sowjetischen Soldaten Vorlesun-
gen abzuhalten.30 Der von Graz zurückgekehrte Chemiker Friedrich Hecht arbeitete
in Wien in einem geologischen Institut, das von sowjetischen Behörden finanziert
wurde.31 Hertha Wambacher forschte nach Informationen des US-Geheimdienstes
in Wien an »Torpedo-Problemen« für die französischen Besatzungsorgane und erstellte
Berichte für den sowjetischen Geheimdienst. Wambacher und Ortner reisten 1946
noch einmal nach Moskau, um an mehreren Konferenzen teilzunehmen, die am dor-
25 MC, FFJ, F 91, AA 1691 : Joliot an Pirotte vom 6.3.1947. In dem Schreiben begründete Joliot seine
Ablehnung allerdings nicht näher.
26 Vgl. MC, FFJ, F 157, Fiche 383 : Joliot an Karlik vom 26.1.1950.
27 Vgl. NARA, RG 319, Box 31, Entry 134-A : Austrian Scientists Recommended for Inclusion on JIOA
List, undatiert. In den Akten Joliots findet sich dazu allerdings kein entsprechender Hinweis.
28 Lediglich zwischen Großbritannien und den USA zirkulierten ungehindert die Listen, in denen die deut-
schen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinsichtlich ihrer Position im Uranverein evaluiert wur-
den. Vgl. CAC, CHAD IV 12/2 : Chadwick an Rickett vom 15.5.1946.
29 Vgl. MC, FFJ, F 91, AA 741 : Affaires allemandes et défense nationale. Section d’information scientifique
(French F.I.A.T.), Renseignements communiqués par la Cdt d’Arbaumont vom 18.6.1946.
30 Vgl. NARA, RG 77, Box 174, Entry 22 : Manhattan Engineer District, Office of the Military Attaché,
American Embassy London, Interview with Dr. Willibald Jentschke vom 3.9.1946.
31 Vgl. NARA, RG 330, Box 66, Entry 1 B : JIOA, Extract from Bio Info Hecht, Prof. Dr. Friedrich, unda-
tiert [1948].
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369