Seite - 190 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung in Österreich,
1932–1938190
der Privatschatulle von Carl Bosch. Beide Anlagen wurden aber kaum forschungsrele-
vant.56 Gerhard Hoffmann war der erste Physiker, der 1937 mit Unterstützung des
Reichsforschungsrates, des sächsischen Kultusministeriums und der Helmholtz-Gesell-
schaft ein Zyklotron in Leipzig errichtete.57 Ihm folgte kurz danach Walther Bothe am
KWI für Medizinische Forschung in Heidelberg. Bei der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft
(KWG) gab es zwischen 1935 und 1943 sieben Projekte zur Errichtung einfacher Hoch-
spannungsbeschleuniger vom Typ Van de Graaf oder Kaskade, davon wurden aber bis
1945 lediglich vier in Betrieb genommen.58 Im Deutschen Reich war die Begeisterung
für die großtechnischen Geräte in den 1930er Jahren allerdings geteilt. So gab beispiels-
weise Otto Hahn seine zögerliche Haltung gegenüber der komplexen Technologie erst
auf, als nach der Entdeckung der Kernspaltung 1938/39 stärkere Strahlungsquellen
notwendig wurden, um die Spaltprodukte genauer zu untersuchen.59
Ende 1938 gab es in Europa drei fertiggestellte Zyklotrone, davon zwei in Großbri-
tannien und eines in Dänemark, in Japan zwei und in den USA neun. Je ein Zyklotron
wurde außerdem in Schweden, der Schweiz, Frankreich und der Sowjetunion gebaut ;
zeitgleich waren in den USA insgesamt 27 Zyklotrone im Bau. Diese Entwicklung
fand auch in Österreich ein Echo.
4.1.4 Die Wiener Reaktionen
Physiker und Physikerinnen, die die Geräteentwicklung in den USA in der wissen-
schaftlichen Literatur verfolgten, standen den angeblichen Vorzügen des Zyklotrons
bis Mitte der 1930er Jahre mitunter skeptisch gegenüber.60 Die Apparatur erschien im
Vergleich zu einer Cockcroft-Walton-Hochspannungskaskade oder einem Van-de-
Graaff-Generator wenig zuverlässig und kompliziert in der Handhabung, wenngleich
sie höhere Strahlung erzeugte. Die in einem Zyklotron erzeugte Neutronenstrahlung
gestattet es, eine Vielzahl von radioaktiven Isotopen herzustellen, je nachdem, welche
Art von Teilchen benötigt wurde. Die Bedenken zerschlugen sich bei denjenigen Phy-
sikern und Physikerinnen schnell, die mit Lawrence selbst korrespondierten und seine
Anlagen persönlich in Augenschein nehmen konnten.61
56 Vgl. Weiss 2000, 709–710.
57 Vgl. Osietzki 1994, 261–262.
58 Vgl. Stange 1998, 5–6.
59 Vgl. Weiss 2000, 705. Im Sommer 1938 dachte Hahn vermehrt daran, die Forschung am KWI für Che-
mie auf biologische Anwendungsbereiche zu konzentrieren. Vgl. CAC, MTNR 5/21 A/2 : Hahn an Meit-
ner vom 27.8.1938.
60 Vgl. Heilbron/Seidel 1989, 132–133.
61 Vgl. Battimelli 2003, 177–178. Siehe zu den Reisen schwedischer Physiker Lindqvist 1993, xxxi.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369