Seite - 228 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung in Österreich,
1932–1938228
Wie lässt sich dieser Gesinnungswandel erklären ? Die Wiener Physiker ließen selbst
kaum eine Gelegenheit aus, um auf das langjährige Engagement der Rockefeller Foun-
dation und anderer ausländischer Stiftungen zu verweisen und so die Bedeutung ihres
Forschungsfeldes zu unterstreichen.222 Auch das Ehepaar Joliot-Curie, das im Som-
mer 1934 am Institut für Radiumforschung zu Besuch war, sprach sich für eine Förde-
rung des Instituts aus.223 Das Ministerium nahm all dies zur Kenntnis und zeigte sich
nach außen hin beeindruckt von der tatkräftigen Unterstützung des Auslandes für die
Anliegen der Atomzertrümmerer.224 Im langfristigen wissenschaftspolitischen Kurs
des Bundesministeriums für Unterricht genoss das Forschungsgebiet trotzdem keine
Priorität. Seine Beamten verfolgten vielmehr ein Ziel, das regierungsseitig schon in den
1920er Jahren diskutiert worden war : Die Reduzierung der Universitätsinstitute in
Österreich durch Zusammenlegung bestehender Institute.225 Im Zuge der Sparmaß-
nahmen wurde die Lehrkanzel von Gustav Jäger, dem Leiter des II. Physikalischen
Instituts, nach dessen Pensionierung 1934 nicht neu besetzt. Langfristig sollte das In-
stitut mit dem I. Physikalischen Institut zusammengelegt werden.226 Unter den Wie-
ner Physikern formierte sich umgehend breiter Widerstand gegen die Einsparungs-
maßnahmen.227 Es verwundert daher kaum, dass das Ministerium die Sonderdotati-
onen für die Wiener Kernforschung nur unter der Bedingung gewährte, dass die Auf-
lösung des II. Physikalischen Instituts nicht torpediert werde.228
4.3.2 Der Streit um die Physikalischen Institute
Die Sparmaßnahmen des Ministeriums lösten einen Verteilungskampf aus, in dem der
schlechte Stand der Kernforschungsgruppe innerhalb der Wiener Physik offenbar
222 Vgl. ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 868/4G : Akademie der Wissen-
schaften in Wien, Bericht der Kommission für die Untersuchung der radioaktiven Substanzen, undatiert
[1934].
223 Vgl. RAC, RF, RG 1.1, Series 705D, Box 3, Folder 25 : Tisdale an Weaver vom 18.7.1934.
224 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 284 : Pettersson an Meyer vom 29.4.1936.
225 Vgl. ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 867/4G : Bundesministerium
für Finanzen an Bundesministerium für Unterricht vom 11.1.1926. Im Oktober 1932 wurde unter
anderem diskutiert, die Philosophische Fakultät der Universität Graz aufzulassen. Die Zahl der Lehrkan-
zeln wurde in der Folgezeit von 107 auf 81 gekürzt. Vgl. Höflechner 1994, 72–73.
226 Vgl. ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 868/4G : Information, unda-
tiert [1936].
227 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 21, Fiche 345 : Kommissionsbericht betreffend Vorsorge für
die Vorlesung Prof. G. Jägers und Vorschläge für das II. Physikalische Institut vom 5.5.1934.
228 Vgl. ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 868/4G : Universität Wien, II.
Phys. Inst. und Inst. für Radiumforschung, Subventionierung der Arbeiten auf dem Gebiete der Atom-
zertrümmerung vom 24.11.1934.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369