Seite - 264 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«,
1938–1945264
scher und Kernforscherinnen der »Ostmark« ergaben sich mit Beginn des Krieges im
September 1939 neue Gelegenheiten, die Ressourcen zum Ausbau ihres Forschungs-
programms aus Berlin zu bekommen.
5.3 An der Peripherie des neuen Netzwerks
Nach der Entdeckung der Kernspaltung und der Möglichkeit von Kettenreaktionen
wurde es im Verlauf des Jahres 1939 klar, dass die freiwerdende Energie für eine »Uran-
maschine«, wie man damals einen Kernreaktor nannte, aber auch für eine Atombombe
genutzt werden konnte. Otto Hahns und Fritz Strassmanns Publikation veranlasste
weltweit kernphysikalisch arbeitende Gruppen, sich auf die Wiederholung der Berliner
Versuche zu stürzen. In Wien war es den Physikern Willibald Jentschke und Friedrich
Prankl dank der vorhandenen Neutronenquellen möglich, kurz nach der Entdeckung
der Kernspaltung und zeitgleich mit anderen Forschungsgruppen im Ausland den
physikalischen Nachweis für diesen Prozess zu erbringen.145 Georg Stetter, der wäh-
rend des Krieges zum unbestrittenen Leiter der Wiener Kernphysik aufstieg, begann
nach einem Besuch bei Otto Hahn in Berlin ebenfalls, die Energie der Kernbruchstü-
cke und die Zahl freiwerdender Neutronen zu erforschen.146 Während den neuen
Möglichkeiten der Kernenergie in den USA, aber auch in Japan zunächst keine beson-
dere Bedeutung beigemessen wurde, begannen in Großbritannien und Frankreich
umfangreiche Forschungsprogramme, die eine mögliche militärische Nutzung der
Kernenergie einschlossen.147
Bis zur Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht kam es zu intensiven
Kooperationen dies- und jenseits des Kanals.148 Nach der Okkupation wurden die
Laboratorien der Joliot-Curies von den deutschen Besatzungsbehörden beschlagnahmt
und es wurde ihnen untersagt, ihre kernphysikalische Arbeit fortzusetzen. Joliot
145 Vgl. Jentschke/Prankl 1939. Siehe auch ADM, Deutsche Berichte zum Atom-Programm 1938–1945,
FA 002/44 : Willibald Jentschke, Friedrich Prankl, Energien und Massen der Urankernbruchstücke vom
August 1940, sowie die nachträgliche Darstellung in UAW, NL Stetter, Sch 312, Inv. 131.410 : Zur Ge-
schichte der Atombombe, in : Österreichische Hochschulzeitung vom 1.4.1959.
146 Siehe zu Stetters Bedeutung während des Krieges ÖStA, AdR, Kurator der wissenschaftlichen Hoch-
schulen in Wien, K 3/AZ 1315, 1 (Teil 2) : Stetter an Kurator vom 29.12.1942 ; OOFR, Mappe 19143,
Bl. 66–69 : Aussagen des Doktors Alfred Bönisch vom 1. Physikalischen Institut der Wiener Universität
vom 4.5.1945 ; ebd., Aufklärungsabteilung des 336. NKWD-Grenzregimentes, Protokoll der Verneh-
mung der Dozentin Hertha Wambacher (russisch) vom 2.5.1945.
147 Vgl. zur Situation in den USA Badash 1995, 27–30 ; in Japan Grunden/Walker/Yamazaki 2005, 111–
112, und in Frankreich Metzler 2000b, 687.
148 Vgl. MC, FFJ, F 145, Fiche 411 : Cockcroft an Joliot vom 7.12.1939.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369