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7.
Schluss
Die Geschichte der Radioaktivitäts- und Kernforschung in Österreich wurde in dieser
Studie erstmals über ein halbes Jahrhundert hinweg untersucht. Die Arbeit nimmt in
mehrfacher Hinsicht einen Perspektivenwechsel vor. Stand bisher das weltbekannte
Institut für Radiumforschung in Wien im Zentrum des wissenschaftshistorischen In-
teresses, so rückt die Studie die Netzwerke zweier sich überschneidender Akteursgrup-
pen in den Fokus, in denen sich Arbeitsprozesse in der Radioaktivitäts- und Kernfor-
schung in Österreich abspielten und intellektuelle Denkmuster entstanden, gefestigt
oder verworfen wurden. Die wissenschaftlichen Aktivitäten in Österreich wurden ei-
nerseits in den Kontext einer transnationalen Wissenschaftsgemeinschaft gestellt, die
sich am Ausgang des 19. Jahrhunderts herausbildete und deren Vernetzung eine Bedin-
gung dafür war, dass die Radioaktivitätsforschung sich als eigenständiger Forschungs-
zweig überhaupt etablieren konnte. Andererseits wurde die Radioaktivitäts- und
Kernforschung in ihrem regionalen Forschungszusammenhang untersucht, der durch
das herrschaftliche beziehungsweise nach 1918 nationalstaatliche Territorium Öster-
reichs in seinen politisch-geographischen Grenzen konstituiert war.
Die Mitglieder der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft, aber auch regionale
und lokale Gruppen waren darauf angewiesen Koalitionen zu schmieden, wollten sie
im kompetitiven Umfeld der Radioaktivitäts- und später der Kernforschung bestehen.
Zum Teil kooperierten sie, zum Teil konkurrierten sie untereinander und mit jenen
Akteuren, die selbst kein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse an der Radioaktivität
hatten. Dazu zählten neben Vertretern der Radiumindustrie auch die staatliche Bil-
dungs- und Wissenschaftsbürokratie, private und staatliche Geldgeber sowie Ärzte.
Um zu verstehen, wie beide Netzwerke entstanden und sich gegenseitig beeinflussten
und warum sich Netzknotenpunkte verschoben, wurden Elemente der wissenschafts-
soziologischen Feldtheorie Pierre Bourdieus für die Analyse herangezogen. Am Beispiel
von Österreich wurde gezeigt, wie die Verfügungsgewalt über verschiedene Kapitalsor-
ten die Machtverhältnisse im lokal-regionalen wie auch im internationalen Netzwerk
der Radioaktivistengemeinschaft bestimmte und welche Folgen die Kriege sowie die
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen des 20. Jahrhunderts für die Netzwerk-
dynamik hatten.
Die topographischen Gegebenheiten waren entscheidend dafür, dass sich die Radio-
aktivitätsforschung in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie bereits sehr früh
entwickeln konnte. Radioaktive Präparate wurden aus Pechblende gewonnen, einem
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369