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An der Peripherie des neuen Netzwerks 265
wandte sich notgedrungen einer alternativen Forschungsrichtung zu, den Anwen-
dungsmöglichkeiten künstlicher Radioaktivität in Biologie und Medizin.149 In Groß-
britannien gingen die kernphysikalischen Arbeiten hingegen ungehindert weiter : Bri-
tische Wissenschaftler gingen bereits 1940 davon aus, dass der Bau einer Uranbombe
möglich sei. Kurz darauf wurde ein Committee for the Scientific Survey of Air Warfare,
das sogenannte MAUD Committee ins Leben gerufen. Die Berichte des Komitees
sollten später dazu beitragen, das US-amerikanische Projekt zum Bau einer Atom-
bombe auf den Weg zu bringen.150
5.3.1 Forschungsarbeiten im Auftrag des Militärs
Anders als in Großbritannien, wo die Mehrheit der Kernforscherinnen und -forscher
seit 1939 in kriegswichtigen Projekten arbeiteten,151 wurde die Kernforschung im
Deutschen Reich nicht sofort als kriegsrelevante Technologie anerkannt und musste
durch die Wissenschaft immer wieder als solche ausgewiesen werden. Das Heereswaffen-
amt (HWA) war schon vor Beginn des Krieges über die Möglichkeiten informiert, die
Kernspaltung militärisch zu nutzen, und wollte sich ein Forschungsmonopol in diesem
Bereich sichern.152 1939 erteilte es Stetter den Auftrag, für den Uranverein kernphysi-
kalische Daten zu erheben. Der Auftrag des HWA sollte »der erste und lange Zeit
einzige Kriegsauftrag« für das II. Physikalische Institut der Universität Wien bleiben.153
Aus den Quellen geht nicht hervor, wieviel Geld die Gruppe um Stetter in den ersten
drei Jahren nach Kriegsbeginn vom HWA für ihre kernphysikalischen Versuchsreihen
bekam. Es ist anzunehmen, dass es der Vergütung anderer Institute gleichkam, die dem
Uranverein angehörten. Das KWI für Chemie in Berlin, das sich seit Kriegsbeginn
gänzlich der Kernforschung widmete, erhielt beispielsweise 1939 einen Auftrag vom
HWA in Höhe von 3.000 Reichsmark, 1940 in Höhe von 25.573 Reichsmark und
1941 schließlich über 38.096 Reichsmark.154
Das deutsche Militär verlor spätestens im Sommer 1941 das Interesse daran,
eine Wunderwaffe auf Basis der Kernspaltung entwickeln zu lassen. Zu jener Zeit
149 Vgl. Metzler 2000b, 695.
150 Siehe Paul 2000, 9–30.
151 Zu den britischen und französischen Aktivitäten CAC, MTNR 5/23/1, Bl. 25 : Frisch an Meitner vom
8.10.1939, und MC, FFJ, F 145, Fiche 411 : Cockcroft an Joliot vom 7.12.1939.
152 Vgl. Walker 2005, 9.
153 OOFR, Mappe 19143, Bl. 66–69 : Aussagen des Doktors Alfred Bönisch vom 1. Physikalischen Institut
der Wiener Universität vom 4.5.1945.
154 Vgl. zur Kernforschung am KWI für Chemie Sime 2004a, 25, 53–54.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369