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Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–1932176
Beweis gestellt.422 Ein Argument, das bei der Notgemeinschaft in der Tat positiv auf-
genommen wurde.
Das Institut für Radiumforschung konnte sich in den 1920er Jahren dank der vor-
handenen Substanzen, aber auch dank des Zuflusses an Material und Spezialwissen aus
dem Ausland, als zentraler Knotenpunkt im Verleih und Verkauf radioaktiver Präpa-
rate etablieren. In freundlicher Konkurrenz mit dem Laboratoire Curie in Paris wurde
die Leistungsfähigkeit der Poloniumpräparate stetig gesteigert. Da die natürlichen
Strahlungsquellen im In- und Ausland sehr begehrt waren, ging man in Wien bei der
Verteilung der Präparate strategisch vor, nicht zuletzt auch mit dem Ziel, die For-
schungsgruppe Pettersson international zu rehabilitieren.
3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der
Reichen
Obwohl die verarmte Republik Österreich nach dem Ende des Krieges im politischen,
wirtschaftlichen und sozialen Chaos zu versinken und ihre Wissenschaft marginalisiert
zu werden drohte, wurden die 1920er Jahre zur eigentlichen Blütezeit der Radioaktivi-
täts- und Atomzertrümmerungsforschung in Österreich. Es gelang insbesondere in der
Hauptstadt Wien, die Verfügungsgewalt über große Mengen radioaktiver Präparate zu
sichern und durch geschickte Koalitionen mit der belgischen Radiumindustrie sogar
noch zu mehren. Das Institut für Radiumforschung erwies sich im Wettstreit mit dem
Pariser Laboratoire Curie als ebenbürtig, und die dort vorhandenen Ressourcen wur-
den genutzt, um in Wien neue Wege in der Radioaktivitätsforschung zu beschreiten
beziehungsweise entsprechende Entwicklungen in Cambridge und Berlin zu unterstüt-
zen.
Dass sich die Radioaktivitätsforschung in der akademischen Provinz in Graz und
Innsbruck weniger dynamisch entwickelte als in der Hauptstadt Wien, hatte nicht al-
lein mit der schlechteren Ausstattung und dem Unwillen beziehungsweise der Unfä-
higkeit der dort wirkenden Professoren zu tun. Hess nutzte beispielsweise die vorhan-
denen Ressourcen, um sich in der kosmischen Höhenstrahlungsforschung einen Na-
men zu machen. Sein Beispiel wie auch das der Wiener Forschungsgruppe um Petters-
son zeigen aber, dass die Weiterentwicklung der Radioaktivitätsforschung in Richtung
innovativer Felder wie der Höhenstrahlungs- und Atomzertrümmerungsforschung
ohne Hilfe aus dem Ausland nicht denkbar gewesen wäre. Denn erst durch den Zu-
fluss von ausländischem Geld und Know-how sowie, im Fall Petterssons, durch eine
422 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 11, Fiche 170 : Meyer an Notgemeinschaft vom 9.11.1929.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369