Seite - 252 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«,
1938–1945252
sition des Deutschen Reiches im besetzten Belgien und Frankreich stützen konnte. In
den 1930er Jahren bestand die Internationale Radiumstandard-Kommission noch
hauptsächlich aus Expertinnen und Experten aus den europäischen Zentren der Radio-
aktivitätsforschung. In dem Maße, wie natürliche durch künstlich erzeugte radioaktive
Strahlungsquellen ersetzt wurden, veränderte sich der epistemische Raum. Neue Ent-
wicklungen in der Kernphysik wurden vor allem durch US-amerikanische Laborato-
rien getragen. Diese neuen kernphysikalischen Zentren in den USA stellten die euro-
päische Dominanz in Frage. Außerdem schwächten die politischen Verhältnisse wäh-
rend des Krieges die einst mächtige Radioaktivistengemeinschaft in Österreich. Wäh-
rend französische, belgische und britische Experten ihren Einfluss in Standardisie-
rungsfragen in die Nachkriegszeit hinüberretten konnten, wurden ihre Kollegen und
Kolleginnen aus Österreich ins Abseits gedrängt.
5.2 Auf der Suche nach neuen Organisationsformen
5.2.1 Die Neuordnung der Physikalischen und Chemischen Institute
Die erste und zweite Generation der Exner-Schüler, die der Radioaktivitätsforschung
in Österreich ihren Stempel aufgedrückt hatten, verloren nach dem »Anschluss« an
Einfluss. Dagegen profitierten nicht wenige Angehörige der dritten Generation von
den politischen Umwälzungen des Jahres 1938. Ihnen, die lange Jahre vergeblich auf
eine Professur gehofft hatten, boten sich nun neue berufliche Chancen.77
Es bedurfte allerdings einiger Überzeugungsarbeit, bis das REM die naturwissen-
schaftlichen Ordinariate in Wien, Graz und Innsbruck neu besetzte.78 Denn es galt
einen Interessenausgleich zwischen den lokalen Verhandlungsführern und dem Berli-
ner Ministerium herbeizuführen. Nach den Vorstellungen von Reichserziehungsminis-
ter Bernhard Rust sollte »ein möglichst weitgehender Austausch zwischen den bisher
im Altreich wirkenden Hochschullehrern und österreichischen Hochschullehrern«
stattfinden. Dem Bestreben »einzelner örtlicher Stellen in Österreich, Lehrstühle an
österreichischen Hochschulen nur mit Österreichern zu besetzen«, sei energisch entge-
genzutreten, um die »Gefahr einer Inzucht von vornherein auszuschließen«. Insbeson-
dere die Universität Wien solle, so Rust, als »Bollwerk deutschen Geistes und deutscher
Weltanschauung« personell und materiell ausgebaut werden. Das akademische Personal
77 Vgl. BAB, R 4901/13856 : Vermerk über Besuch des Rektors der Universität Wien, über Vakanzen vom
18.8.1938. Siehe zur Situation an der Universität Graz AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 10, Fiche
157 : Benndorf an Meyer vom 10.1.1939 und vom 9.12.1939.
78 Vgl. BAB, R 4901/13197 : Planmäßige Professuren an österreichischen Hochschulen, die seit dem An-
schluss an das Reich freigeworden sind, 1938–1939.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369