Seite - 179 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
Bild der Seite - 179 -
Text der Seite - 179 -
Das Zentrum behauptet sich 179
großen Forschungslaboratorien in den USA, Frankreich und anderen europäischen
Ländern. Eine entscheidende Rolle spielte dabei, dass ausländische Gäste Wien wieder
verließen und die Geldmittel schwanden. Außerdem machten sich zunehmend lokale
und regionale Nachteile in Österreich bemerkbar. Außen- und innenpolitische Zwänge
führten überdies dazu, dass die Kernforschung in Österreich in wachsendem Maße zu
einem rein nationalen Projekt wurde.
4.1 Das Zentrum behauptet sich
4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard-Kommission
Kein anderes belgisches Exportprodukt übertraf das Radium in den 1920er und 1930er
Jahren an Bedeutung.4 Trotz wachsender Außenhandelsbeschränkungen und protek-
tionistischer Maßnahmen während der Weltwirtschaftskrise zirkulierte belgisches Ra-
dium in vielen europäischen Laboratorien, die zur Radioaktivität arbeiteten. Fast ein
Jahrzehnt hatte die Union Minière ihr weltweites Radiummonopol verteidigt, bevor
die Macht des Unternehmens in den frühen 1930er Jahren zu bröckeln begann. 1932
startete das britische Gesundheitsministerium eine Kampagne gegen die angeblich
überteuerten belgischen Preise für medizinisches Radium. Kanadische Unternehmen
traten in den Radiummarkt ein, der bis dahin von der Union Minière beherrscht wor-
den war, und brachten das belgische Monopol binnen weniger Jahre zu Fall. Ange-
sichts der allgemeinen Wirtschaftskrise sah man sich in Brüssel gezwungen, den Radi-
umpreis auf ein historisches Tief von 55.000 US-Dollar pro Gramm (1933) zu sen-
ken.5 Radium war kurz vor dem Kriegsbeginn 1914 teurer gehandelt worden als
Gold ; mit diesem Preissturz wurde es nun endlich für die Krebstherapie breiterer Teile
der Bevölkerung erschwinglich.
Das Radium verlor nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht allmählich an Bedeutung.
Auch im Kontext der Radioaktivitätsforschung büßte es seine zentrale Rolle ein. In
dem Maße, wie die chemischen und physikalischen Eigenschaften dieses Elements
geklärt waren, verschob sich das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse auf die radioak-
tiven Zerfallsreihen des Actiniums, Thoriums und Poloniums. Der schleichende wis-
senschaftliche Bedeutungsverlust des Radiums fand in der Metrologie seine Entspre-
chung. Vor 1914 hatte die französisch-britisch-österreichische Radiumlobby erfolg-
reich dafür gekämpft, Radium als alleiniges Referenzmaterial im internationalen
4 Vgl. Adams 1993, 491.
5 Vgl. Adams 1993, 499. Siehe zum Wertverhältnis von Radium und Feingold (1904–1936) Fattinger
1937, 13.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369