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Das regionale Netzwerk wird zerstört 241
quent auf militärisch relevante Themen aus.23 Es gelang ihm dadurch, unter anderem
die Gründung der Abteilung für Technische Physik an der TH Wien beim REM
durchzusetzen. Ähnliches gilt für Fritz Kohlrausch an der TH Graz, dessen Arbeiten
zur Erforschung von Raman-Spektren während der gesamten 1930er von der Rocke-
feller Foundation gefördert worden waren.24 Nachdem die US-Stiftung ihre Förde-
rung 1940 eingestellt hatte, übernahm Kohlrausch mehrere militärisch relevante For-
schungsaufträge mit hoher Dringlichkeitsstufe.25
Mit dem Exner-Kreis, dessen Mitglieder den Zweiten Weltkrieg ganz unterschied-
lich erlebten, wurden zwei Generationen von Radioaktivisten verabschiedet, die über
Jahrzehnte in Österreich prägend gewesen waren und auch jenseits der nationalen
Grenzen einflussreiche Positionen eingenommen hatten. Seit den 1930er Jahren wur-
den Kernforscher und Kernforscherinnen aus Österreich im internationalen Wissen-
schaftsverkehr aus einem Zusammenspiel von Gründen zunehmend marginalisiert.
Ihre randständige internationale Position wurde durch die Vertreibung exponierter
Radioaktivisten weiter verstärkt, wie sich am Schicksal der Internationalen Radium-
standard-Kommission während des Zweiten Weltkriegs ablesen lässt.
5.1.2 Die Internationale Radiumstandard-Kommission im Zweiten Weltkrieg
Die politischen Veränderungen des Jahres 1938 bewirkten an den Universitäten der
»Ostmark« einen Generationswechsel. Die Vertreibungen waren aber auch im Hinblick
auf den internationalen wissenschaftlichen Austausch folgenreich. Die Vertriebenen
und ins Ausland Geflohenen hatten ihr Land jahrzehntelang in internationalen wissen-
schaftlichen Gremien vertreten. Im Machtspiel um Standardisierungsfragen, das Ra-
dioaktivisten aus Österreich jahrzehntelang maßgeblich mitbestimmt hatten, fehlten
sie als durchsetzungsfähige Akteure. Dadurch war alternativen Versuchen, die Standar-
disierungen zu definieren, Tür und Tor geöffnet.
Stefan Meyer, der langjährige Sekretär der Internationalen Radiumstandard-Kom-
mission, war nach dem Tod Ernest Rutherfords 1937 als dessen Nachfolger zum
Kommissions-Präsidenten gewählt worden. In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre
hatte die Kommission ihre Hauptarbeit, nämlich sekundäre Radiumstandards herzu-
stellen, zu zertifizieren und an die Regierungen verschiedener Staaten weiterzugeben,
23 Vgl. ATHW, PA Heinrich Mache, P 2604, Bl. 17 : Forschungsführung des Reichsministers der Luftfahrt,
Kriegsauftrag betr. Physikalisches Institut Prof. Dr. Mache vom 28.5.1943.
24 Vgl. RAC, RF, RG 1.1., Series 705D, Box 2, Folder 19 : TH Graz Physical Institute, Biophysical Chemi-
stry, Februar 1940.
25 Vgl. BAB, R 4901/13609, Bl. 19 : Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Graz und Leoben an
REM vom 20.9.1943.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369