Seite - 147 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 147
kanzeln befanden sich in Österreich oder anderen Nachfolgestaaten der Monarchie.
Doch lässt sich dies weniger auf den Prestigegewinn durch die Arbeit am Institut, als
vielmehr auf die eingangs erwähnte Besetzungspolitik des Bundesministeriums für
Unterricht sowie der entsprechenden Ministerien in den Nachbarländern zurückfüh-
ren. Der Plan des IEB, das Institut für Radiumforschung als Ausbildungszentrum für
den ost- und südosteuropäischen Physiker- und Chemikernachwuchs zu fördern, ging
somit nur zum Teil auf. Wie Trowbridge anlässlich seiner Reise nach Wien Mitte der
1920er Jahre feststellte, gab es dort zwar eine große Zahl von jungen Wissenschaftlern
und Wissenschaftlerinnen aus dem gesamten Balkangebiet, die an verschiedenen, mit
der Universität Wien verbundenen Instituten arbeiteten.264 Aber bezeichnenderweise
stammte kein einziger Stipendiat des IEB beziehungsweise der späteren Rockefeller
Foundation, der an einem der Physikalischen Institute in Wien, Graz und Innsbruck
forschte, aus den Staaten Ost- bzw. Südosteuropas.
Es war zu einem Gutteil dem internationalen Stipendienwesen zu verdanken, dass
Wien, mehr noch als die kleineren Universitäten Graz und Innsbruck, in den 1920er
Jahren junge Radioaktivistinnen und Radioaktivisten aus West- und Nordeuropa sowie
vereinzelt aus den Vereinigten Staaten anzog. Die von den Vertretern des IEB geäu-
ßerte Vermutung, Wien fungiere ähnlich wie in der Vorkriegszeit als Anziehungspunkt
für den akademischen Nachwuchs der untergegangenen Monarchie, erscheint vor
diesem Hintergrund als Mythos, der mit der historischen Realität wenig gemein hatte.
Der Zustrom von Personal, Know-how und Geld aus dem Ausland erwies sich jedoch
als entscheidend, um in Wien das innovative Forschungsfeld der Atomzertrümmerung
und in Innsbruck das damit eng verbundene Gebiet der kosmischen Höhenstrahlungs-
forschung zu etablieren.
3.4.2 Atomzertrümmerungsforschung zwischen Kooperation und Konkurrenz
Einer der wenigen Stipendiaten des IEB in Wien war der schwedische Physiker Hans
Pettersson. Glaubt man den Berichten der Stiftungsmitarbeiter, die in den 1920er
Jahren durch wiederholte Besichtigungen einen guten Überblick über die Ausstattung
und Arbeitsrichtungen europäischer Laboratorien hatten, dann verfügten viele wissen-
schaftliche Institute in Schweden über eine gute Geräteausrüstung, verglichen etwa
mit der Schweiz oder den Niederlanden.265 Doch nur in Wien fand Pettersson auf
Fortkommen aus. Lawson gelang es bis zum Ende seiner wissenschaftlichen Laufbahn nicht, sich erfolg-
reich von Sheffield wegzubewerben. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 15, Fiche 246 : Lawson an
Meyer vom 22.12.1924.
264 Vgl. RAC, IEB, Series 1.2, Box 25, Folder 360 : Trowbridge an Rose vom 2.4.1925.
265 Vgl. RAC, IEB, Series 1.1, Box 24, Folder 345 : Trowbridge an Rose vom 8.6.1926.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369