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Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung,
1899–191840
benötigten Ausgangsmaterials zur Gewinnung kleinster Mengen reiner Substanz, das
aufwendige Herstellungsverfahren und die wachsende Nachfrage trieben die Preise für
Radium binnen weniger Jahre in enorme Höhen.54 Um an dem florierenden Markt
teilzuhaben, entschloss sich das k. k. Ministerium für öffentliche Arbeiten, das die Zu-
ständigkeit für die Bergwerke der Monarchie vom k. k. Ackerbauministerium 1908
übernommen hatte, die industrielle Herstellung und die Vermarktung des Radiums in
Absprache mit dem k. k. Ministerium für Finanzen in die Hand zu nehmen.55
Auch die schlechte wirtschaftliche Lage der St. Joachimsthaler k. k. Uranfarbenfab-
rik, die unter staatlicher Verwaltung stand, legte einen solchen Schritt nahe. 1907
wurde in den Räumen der alten Fabriksanlage die Radiumpräparate-Fabrik nebst La-
boratorium errichtet, in dem fortan Radium aus der St. Joachimsthaler Pechblende
extrahiert wurde.56 1909 erzeugte das Labor die ersten Präparate, deren Vertrieb die
k. k. Bergwerks-Produkten-Verschleiß-Direktion (k. k. Montan-Verkaufsamt) in Wien
übernahm. In den darauf folgenden fünf Jahren etablierte das Ministerium dank seiner
Verfügungsgewalt über den Ausgangsstoff Pechblende ein Monopol auf die Erzeugung
von Radium.57 Trotz laufender Prospektionen in verschiedenen Erdteilen erschloss die
böhmische Mine vorerst das einzige Uranerz-Vorkommen, dessen Ausbeutung sich
wirtschaftlich lohnte.58
2.2 Das regionale Netzwerk formiert sich
2.2.1 Anfänge der Radioaktivitätsforschung im Kontext des Exner-Kreises
Es mag auf den ersten Blick erstaunen, dass die böhmisch-tschechische Radioaktivis-
tengemeinschaft, obwohl sie durch die Nähe zu den St. Joachimsthaler Pechblendevor-
54 Der Preis für ein Gramm Radiums aus St. Joachimsthal betrug vor 1914 160.000 US-Dollar. Wäh-
rend des Krieges fiel er, bedingt durch den Markteintritt der USA, auf 125.000–135.000 US-Dollar
pro Gramm und stabilisierte sich bis Kriegsende bei einem Wert von 120.000 US-Dollar pro Gramm.
Vgl. Algemeen Rijksarchief Brüssel, Inventaire des Archives du groupe de l’Union Minière, ab sofort :
AR-AGR, UM, 259/1079 : Notice sur le radium de l’Union Minière du Haut Katanga, undatiert. Vgl.
auch Rentetzi 2008, 448.
55 Vgl. Musée Curie Paris, Archives du Laboratoire Curie de l’Institut du radium, 1906–1934, Directeur :
Marie Curie, ab sofort : MC, ALC, Fiche 2470 : Pfaundler an Curie vom 12.10.1908. Siehe zudem Ce-
ranski 2005b, 108–109 ; Braunbeck 1996, 60.
56 Vgl. Těšínská 2010, 368–369. Entsprechende Pläne hatte das k. k. Ackerbauministerium schon um 1904
formuliert und in der ersten Jahreshälfte 1906 weiter konkretisiert. Vgl. Seidlerová/Seidler 2010, 72, 113,
117–118.
57 Vgl. Kohl 1954, 86. Daneben gab es kleinere Radiumproduzenten in Portugal, Großbritannien, dem
Deutschen Reich und Frankreich, deren Produktion jedoch erheblich hinter der der Monarchie zurück-
blieb.
58 Vgl. Helvoort 2001, 39–40 ; Fattinger 1937, 12.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369