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Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 231
4.3.3 Pläne für einen Teilchenbeschleuniger in Wien
Die Wiener Kernforschungsgruppe saß bald zwischen allen Stühlen. Wie Pettersson zu
Recht vermutete, stand das finanzielle Engagement des Auslandes den Bemühungen,
Geld vom Staat zu bekommen, sogar eher entgegen. Im Sommer 1935 schrieb er Tis-
dale resigniert :
»I have had some experience of the difficulties making the Austrian government contribute
to research work, and I am certain that any reference to future support from our own side or
from the Rockefeller Foundation might be detrimental to our chances of getting the support
from them we are now applying for.«237
Im Ministerium hatte man nicht vergessen, dass die New Yorker Stiftung ihre Finan-
zierungszusagen stets mit der Bedingung verknüpft hatte, dass der Staat dem Institut
für Radiumforschung stärker unter die Arme griff. Einem solchen Zwang zur Aktivi-
tät wollten sich die Ministerialbeamten aber nicht aussetzen. In New York war inzwi-
schen längst die Entscheidung gefallen, sich aus der Finanzierung der Wiener Kern-
forschung zurückzuziehen. Den dortigen Kernphysikern blieb mangels Alternativen
damit nur die Wahl, ihre Eingaben an das Bundesministerium für Unterricht zu in-
tensivieren.
Im Winter 1936/37 stellten Stetter und Kirsch einen Antrag auf Finanzierung einer
Hochspannungsanlage von mehreren Millionen Volt, die binnen zwei Jahren in Wien
errichtet werden sollte. Wie bereits angedeutet, war dieser Schritt innerhalb der Wiener
Kernphysik umstritten. Doch bewirkte die Sorge, im Wettstreit mit der internationa-
len scientific community und lokalen Konkurrenten wie Hermann Mark zu unterlie-
gen, einen Gesinnungswandel. Mit dem Hinweis, dass die Anlage neben der kernphy-
sikalischen Forschung der Herstellung von Isotopen für medizinische Zwecke dienen
sollte, machten sie dem Ministerium die Investition schmackhaft. Die Kontrolle der
»wenigstens eine[n]« Hochspannungsanlage in Österreich wollten sich die Wiener
Physiker aber nicht aus der Hand nehmen lassen. Mattauch und Ortner sollten neben
Stetter und Kirsch Bau und Betrieb der Anlage überwachen. Mittels eines andernorts
geworbenen Reisestipendiums wollten sie in den USA das notwendige methodische
Rüstzeug erwerben. Insgesamt schätzten die Antragsteller den Finanzierungsbedarf für
das Großgerät auf 50.000 Schilling.238
237 RAC, RF, RG 1.1, Series 705D, Box 3, Folder 25 : Pettersson an Tisdale vom 9.7.1935.
238 Vgl. ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 868/4G : Kirsch an Bundesmi-
nisterium für Unterricht vom 29.12.1936.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369