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Kernforschung für die Alliierten – ein
Epilog308
besiegten Länder zum eigenen Vorteil zu nutzen oder jedenfalls dem Gegner vorzuent-
halten. Das Interesse der Alliierten an den Personen, die während des Krieges in Wien,
Graz und Innsbruck Kernforschung betrieben hatten, war jedoch vergleichsweise ge-
ring und spiegelte die seit Jahren nachlassende Bedeutung Österreichs im internatio-
nalen Netzwerk der Kernphysik wider.
6.1 Alliierte Geheimdienste auf den Spuren der Kernforschung in
Österreich
Die Alliierten, allen voran die USA und die UdSSR, waren lange vor dem Ende des
Zweiten Weltkriegs darüber informiert, dass während des Krieges im Deutschen Reich
Kernforschung betrieben wurde. Spionage spielte in diesem Zusammenhang eine
wichtige Rolle.5 Dennoch war man über den tatsächlichen Stand der Forschung
nicht wirklich im Bilde. Die Furcht, dass der Kriegsgegner an einer Atombombe arbei-
ten könnte, war insbesondere in den USA weit verbreitet. Dort wurden die Arbeiten
am Manhattan Projekt mit Hochdruck betrieben.6 Ende 1943 begann eine Spezi-
aleinheit US-amerikanischer Wissenschaftler und Militärs das deutsche Uranprojekt
im Rahmen der Alsos-Mission ins Fadenkreuz zu nehmen.7 Im Rücken der vorrük-
kenden alliierten Truppen sollte die Mission in den befreiten Ländern Europas mög-
lichst genaue Informationen über das Kernforschungsprogramm des Uranvereins ge-
winnen. Welche Rolle Österreicher und Österreicherinnen darin spielten, blieb auf
US-amerikanischer Seite lange unklar.
Im Sommer 1944 kamen Mitarbeiter des Geheimdienstes durchaus treffend zu der
Einschätzung, dass das KWI für Physik im Zentrum des Netzwerks deutscher Institute
stand, die mit Kernforschung befasst waren. Die Institute der Universität Wien hätten
hingegen von jeher im Ruf gestanden, auf dem Feld der Radioaktivitäts- und Kernfor-
schung isoliert zu sein und den Entwicklungen hinterherzuhinken. Dementsprechend
gingen sie davon aus, dass die Gruppe um Stetter als »gewöhnliche, experimentell ar-
beitende Kernphysiker« in die Projekte des Uranvereins nicht involviert und allenfalls
durch Erzählungen von Kollegen darüber informiert war, was im »Altreich« geforscht
wurde. Über Georg Stetter wisse man zu wenig, um auch nur vermuten zu können,
welche Rolle er im Uranverein und in Wien spielte.8 Erst im Februar 1945, als die
5 Vgl. zu Klaus Fuchs’ Aktivitäten jüngst Nikles 2010 ; Williams 1987. Zu Wiener Atomspionen Brown
2009, und zur Nachkriegsspionage der USA über das sowjetische Atombombenprojekt Goodman 2007.
6 Vgl. Goldberg 2006 ; Kelly 2004 ; Serber 1992 ; Bernstein 1976 ; Sherwin 1973.
7 Vgl. Hastedt 2011, 23 ; Füßl 2001 ; Frank 1993 ; Hoffmann 1992.
8 NARA, RG 77, Box 167, Entry 22 : United States Engineer Office (Intelligence and Security Division),
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369