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4.
Kernforschung in Österreich, 1932–1938
»Momentan herrscht […]
Wüstentrockenheit
auf dem Gebiet der
A[tom]Z[ertrümmerung].«1
Die Entdeckung des Neutrons durch James Chadwick im »annus mirabilis« 1932 läu-
tete die Ära der Kernphysik ein, in deren Zentrum die Untersuchung des atomaren
Kernaufbaus stand.2 Noch dachte kaum jemand darüber nach, wie die kernphysika-
lischen Forschungsergebnisse in der Praxis Anwendung finden könnten ; die Energie-
gewinnung aus Kernreaktionen blieb bis zur Entdeckung der Kernspaltung zur Jahres-
wende 1938/39 Phantasterei. Auch der Bau einer Atombombe lag zu diesem Zeitpunkt
noch außerhalb der wissenschaftlichen Vorstellungswelt. Allerdings deutete sich ein
qualitativer Sprung in der experimentellen Radioaktivitäts- und Kernforschung an, als
das Ehepaar Joliot-Curie 1934 die künstliche Radioaktivität entdeckte und Enrico
Fermi im selben Jahr die Bedeutung thermischer Neutronen nachweisen konnte.
Künstlich erzeugte Neutronen, mit denen Kernreaktionen ausgelöst werden, verdräng-
ten allmählich die schwächeren natürlichen Strahlungsquellen. Die Kernforschung
entwickelte sich in den 1930er Jahren unter Einsatz von Teilchenbeschleunigern, Mas-
senspektrometern und anderen großtechnischen Geräten stürmisch weiter.
Österreichs Bedeutung in der klassischen Radioaktivitätsforschung gründete in den
ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nicht zuletzt auf seinem Zugang zu den
natürlichen Strahlungsquellen. In dem Maße, wie die großtechnisch basierte Kernfor-
schung in den US-amerikanischen und europäischen Laboratorien Einzug hielt, wurde
die Frage der Finanzierung, sei es durch Stiftungen oder nationalstaatliche Regierun-
gen, immer dringlicher. In den Vereinigten Staaten, deren Universitäten bis in die
1920er Jahre zur wissenschaftlichen Peripherie gezählt hatten, bildeten sich neue Zen-
tren kernphysikalischer Forschung.3 Wie im Folgenden gezeigt wird, verlor die Kern-
forschung in Österreich bereits seit den frühen 1930er Jahren an Boden gegenüber den
1 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Rona, K 67, Fiche 974 : Pettersson an Rona, undatiert [1934].
2 Vgl. Hughes 2000, der den Begriff jedoch problematisiert.
3 Siehe zu der Entwicklung in den USA Fuchs 2002b, 266.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369