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nichts. Das erste, das wir gekauft haben, war eine Wäscheschleuder. Du hast
ja keine Windeln gehabt, die Windeln hat man waschen müssen. Da hat man
keine Tetrapack oder was weiß ich wie das heißt da. Oder diese, wie heißen
die diese neuen? Na, is ja wurscht. Haben wir die Schleuder gekauft. Da sind
wir dann den ganzen Tag um die Schleuder herumgesprungen und haben sie
bewundert [lacht].
Ganz in Linie mit den anderen Berichten über die Modernisierung betont KP hier
ausführlich und sich mehrmals wiederholend, wie arm bzw. bescheiden man in
der Kindheit und Jugend gelebt hatte. Wegwerfwindeln, hier irrtümlich als „Tetra-
packs“ bezeichnet, werden als Medium herangezogen, am Beispiel dessen der ex-
treme Wandel vom aufwändigen Windelwaschen hin zum Wegwerfen aufgezeigt
werden soll. Die Wäscheschleuder, ein einfacheres Vormodell der Waschmaschine,
wird hier ebenfalls zum Symbol der Moderne stilisiert.
Zusammenfassend soll ein weiteres Mal die 1907 geborene XX in einem Aus-
schnitt zu Wort kommen, in dem sie versucht, den Prozess der Modernisierung
am Beispiel ihrer Familiengeschichte zu verdeutlichen. XX betont hier die Rolle
der Vorarlberger Illwerke AG als impulsgebend für die Moderne im Montafon:
XX: Ja, das muss ich auch noch sagen. Ich weiß nicht, geht das oder nicht?
I: Sie können alles sagen.
XX: Anfang der 20er Jahre hat man gesagt, jetzt kommen die [hustet] kom-
men die Illwerke, die wollen das Wasser aufnehmen. Da kommt allerlei Volk,
allerlei Leute kommen da. „Mein Gott, was wird das bringen“, hat man immer
gesagt, „so viel Leute da herein“. Das hat man früher nicht gekannt. Weder
von Arbeitern, noch von Gästen. Und dann hat man zuerst eine Material-
bahn gebaut, dass man das Material hinein befördern konnte nach Partenen.
Und das ging dann über unser Feld, zuhause, das uns gehörte. Und durch das
haben wir dann Geld bekommen. Und durch das ging’s dann los im Haus.
Zuerst hat man einen anderen Ofen gebaut oder bauen lassen. Und in der
Küche einen Sparherd hinein getan, das hat man früher auch nicht gekannt.
Und so hat man sich dann langsam entwickelt. Und als ich dann zur Schule
kam, da hat meine Mutter eine Stickmaschine gepachtet, da hab ich Sticken
müssen. Ich weiß nicht, kennen Sie das oder nicht? Also, wie sagt man, ich
kann den Namen nicht sagen, Vorhänge hat man gestickt. Und da hat man
dann gestickt, jede Woche kam ein Mann – da waren noch einige Frauen, die
das machten – und hat das abgeholt. Und durch das kam dann langsam ein
bisschen Geld herein. Und als ich dann 20 Jahre alt war, kam einmal ein Ver-
treter, da hat man so geredet und der hat dann Strickmaschinen zum Verkauf
gehabt. Da hat er halt geredet bis meine Mutter gesagt hat, „wir kaufen eine“.
Und da hab ich dann angefangen zu stricken und hab gestrickt, bis ich … also
mal mehr als 40 Jahre hab ich gestrickt. Ich hab dann drei Maschinen gehabt
später. Und da haben, weiß Gott woher, von St. Gallenkirch und von Partenen
und von überall her, ist man gekommen. Ich hatte mehrere Geschäfte gekannt,
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439