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140 Grund wurde TGs Exkurs, der ja inhaltlich kaum mit dem Thema Weihnachts-
bräuche in Zusammenhang steht, an dieser Stelle belassen: Die Erzählung vom
Hemdenstoff als Weihnachtsgeschenk, über die Herstellung der Kleidung, hin zu
den Erinnerungen an die Einblicke, die die Röcke ohne Unterhosen bei baum-
kletternden Mädchen gewährten, ist ein eindrückliches Beispiel für eine narra-
tive Erzählung, die über verschlungene Assoziationsketten und Abschweifungen
Einblicke in individuelle Erinnerungen erlauben, welche durch gezielte Fragen in
einem Interview niemals möglich wären. Dass es ihm nachträglich unangenehm
ist, über die Unterwäsche und die Praxis der Mädchen beim Urinieren gesprochen
zu haben, weist darauf hin, dass der Erzähler diesen Themenbereich zwar für inter-
essant, aber auch für zu intim für die Zuhörer-Öffentlichkeit befindet. Die meisten
ZeitzeugInnen sprechen daher körperliche Intimbereiche betreffende Themen –
auch in Hinblick auf frühere gesellschaftliche Praktiken – überhaupt nicht an.
Abb. 25: Feier unter dem Weihnachtsbaum (Sammlung Bruno Hueber/Montafon Archiv)
Was für TG der Griffel ist, der im Gegensatz zu jenem der Nachbarskinder leider
nicht golden gefärbt war, ist für andere ZeitzeugInnen ein Schipullover, ein Hund
auf Rädern oder das erste Paar Schi: ein nostalgisches Symbol für die bescheidenen
Verhältnisse in der Kindheit. Zumeist beschränken sich die Erinnerungserzäh-
lungen unter all den Weihnachtsfesten, die man erlebt hat, auf wenige besondere
Geschenke, die bis ins hohe Alter Eindruck hinterlassen haben und so unmittelbar
mit dem Erzählen von Weihnachten verknüpft sind. Tatsächlich werden in Bezug
auf Weihnachten vor allem die Geschenke und darüber hinaus die besonderen
Speisen erinnert, Weihnachtskrippen oder Christmettebesuche werden eher bei-
läufig erwähnt. Wie die allgemeine Verklärung und Nostalgie, die heute in Bezug
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439