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eingeräumt werden muss, dass die Umstände in der Kindheit der Befragten teils
zweifelsohne von überdurchschnittlicher Armut geprägt waren. Besonders ein-
drücklich sind hier die Erzählungen KKs, in denen sie ihre Kinderjahre auf einem
Paznauner Bergbauernhof schildert:
KK: Ja, die Kindheit war traurig in den 30er Jahren. 1927 ist uns die Mutter
gestorben. Ich war die Älteste von drei, war 4¼ Jahre, der Bruder ist Jahrgang
1924, die Schwester Jahrgang 1925.
I: Drei Kinder waren Sie? Und die Mutter so früh gestorben?
KK: Ja. Im vierten Wochenbett. Und wie ich 1929 dann in die Schule hab
müssen, bis dort haben wir eine Magd gehabt. Aber da haben wir Läuse und
alles gehabt, wie es halt damals war. Und wo der Bruder dann auch in die
Schule ist, da habe ich müssen zuerst denen schauen, dass sie eine warme
Milch oder was gehabt haben, und dann hab ich auch nachkönnen. Und dann
hätte man sollen noch in die Kirche, eine halbe Stunde, gut eine halbe Stunde
vom Dorf weg. Und wie die Schwester dann auch … da habe ich dann erst
müssen die fortschicken, und dann bin ich selber nach. Die Großmutter war
schon noch, aber die war schon älter. Es wär wohl noch eine Schwester von
der Mama gewesen, aber die ist nicht herein zu uns. Und dann ist der Vater
immer alleine mit uns geblieben.
I: Und später, sobald Sie selber groß genug waren, haben Sie sich halt selber
um die kleineren Geschwister gekümmert.
KK: Da hat man halt müssen ran an die Arbeit. Und später wie die Schwester
auch ein bisschen … hat die müssen dann im Haus vielleicht einen Kaffee
machen und was Einfaches kochen, wenn wer in die Schule ist. Und ich habe
müssen mit aufs Feld.
I: Sie haben eine Landwirtschaft gehabt.
KK: Ja! Im Steilhang, im Paznaun am Berg droben auf 1400 Meter.
I: Bergbauern.
KK: Ja, Bergbauern. Und wie! Später, Ende der 1930er Jahre hat es dann am
Wegbau ein bisschen Arbeit gegeben und ich war da auch schon 16 und da
hab ich dann halt müssen noch mehr ran. Und da ist er dann zu dem Weg-
bau, dass er ein bisschen eine Versicherung gehabt hat und ein bisschen einen
Zuverdienst. Und dann ist eben der Krieg gekommen. Den Bruder hat man
mit sechs Jahren nach Lech hinauf mit einem Nachbar auf die Alpe hinauf
geschickt.
Gerade wenn äußere Umstände, wie etwa der Verlust eines Elternteiles und damit
einer Arbeitskraft, die Situation der Bauern noch erschwerten, geriet die Familie
schnell ans Existenzminimum. Die Kinder wurden Opfer von Verwahrlosung, ihre
Gesundheit war gefährdet, sie mussten schwere körperliche Arbeiten verrichten
und die ältesten Kinder zusätzlich die Verantwortung für die jüngeren Geschwister
übernehmen. Teils musste für die Arbeit auf dem Hof auf den Schulbesuch ver-
zichtet werden und, wie KK sich erinnert, sogar die jüngsten Kinder wurden schon
im Alter von sechs Jahren verdingt, um sich ihr Brot selbst zu verdienen. Dass
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439