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Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Seite - 182 -
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Seite - 182 - in Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg

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182 auf gespuckt auf die Blätter und die Spucke sei so herunter gekommen. Und ganz früher ist da so ein Vertrag gewesen, oder so eine Abmachung zwischen dem Pfarrer und dem Lehrer, dass man die bösen Buben in den Pfarrhof hin- unterlässt über Mittag, ins Speckkämmerle. Und ich habe gerade einmal … für den Pfarrer habe ich das zusammengestellt, ich habe das angeschaut, das Speckkämmerle, wo der Speck drinnen gehängt ist. Da sind noch zwei Latten drinnen, wo man das Geselchte aufgehängt hat, und es steht an der Wand Verschiedenes. Da steht „Der Lehrer, der Schmucker, der Lalli.“ Und das weiß ich ja genau, wer das ist. Das ist der damalige Schulleiter Heel gewesen, aus dem Tirol. Weil „Schmucker“ heißt bei uns der Tiroler. I: Wo ist der hergekommen, Entschuldigung? Wie heißt das? NM: Schmucker. I: Aha, woher kommt das? NM: Vom Vieh. Wenn sie so kleines Vieh da gehabt haben, dann hat man gesagt, das ist ein Tiroler Schmucker. Und das ist übertragen worden auf den Lehrer da nachher. Das Ganze ist so um 18.. … 1870 gewesen. Der ist so um 1825 geboren, und um 1870 ist der eingesperrt gewesen. Und ein anderer hat geschrieben: „Wenn du ins Speckkämmerlein kommst, dann frohlocke, hal- leluja!“ Das steht heute noch. – […] Und der hat auch, wenn der Inspektor gekommen ist, gell, hat der immer aufgezeigt, der Schüler. [unverständlich] Mit dem Finger, so hat der drankommen wollen. Er hat gefragt, der Inspektor: „Kann mir jemand etwas erzählen von dem Märchen, wo da ein Bild an der Wand oben ist? Und da hat der Ludwig da den eben gerufen, aufgerufen, und der: „Warum hast du ein so ein entsetzlich großes Maul?“ fragt er den, gell. Und alles hat gelacht, weil der Inspektor so ein großes Maul gehabt hat. Und der hat sich dann umgedreht und hat auch gelächelt. NM nimmt im Rahmen seiner Erzählung die Rolle des Pädagogen ein, der – selbst ein Mann – die Rebellion des Schülers nicht als persönlichen Angriff versteht, son- dern humorvoll als alters- und geschlechtsspezifisches Verhalten akzeptieren kann. Nicht alle Schulgeschichten machen die Lehrperson zum Feindbild. Zahlreiche Erzählungen berichten von Lehrern, die den Schülern – in beiden Fällen muss hier ausschließlich von Männern bzw. Buben gesprochen werden – ein Vorbild waren und die ihnen angesichts verschiedener Streiche sogar verständnisvoll begegneten. Die pädagogische Haltung im obigen Ausschnitt der Erzählung NMs wird übri- gens von einem Zeitzeugen bestätigt, der als ehemaliger Schüler von dem offenbar beliebten Lehrer NM als Freund und Vorbild spricht. In vergleichbaren Erzählun- gen wird besonders vom Respekt und der Wertschätzung gesprochen, die man der Lehrperson entgegenbrachte. In den schulbezogenen Erzählungen von Frauen, dies soll hier nur am Rande ergänzt werden, wird von den Zeitzeuginnen zumeist betont, wie gern man in die Schule ging, dass man sich bemühte und fleißig arbeitete oder sich auch vor der Lehrperson fürchtete. Klassische geschlechtsspezifische Rollen- bilder werden somit sowohl von Zeitzeuginnen als auch Zeitzeugen besonders in Form von Lausbuben- und Schulgeschichten transportiert und reproduziert.
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Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Untertitel
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Verlag
StudienVerlag
Ort
Innsbruck
Datum
2013
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
15.8 x 23.4 cm
Seiten
464
Schlagwörter
Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
Kategorie
Geographie, Land und Leute

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 11
  2. Einführung 13
  3. 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
    1. 1.1. Potenzial und Grenzen des biografischen Interviews 18
    2. 1.2. Entstehung und Funktion von Erinnerungen 22
      1. 1.2.1. Wahrnehmung 22
      2. 1.2.2. Kollektives, kulturelles, kommunikatives, autobiografischesGedächtnis 25
      3. 1.2.3. Erinnerung 29
    3. 1.3. Spezifika von Erzählungen im Rahmen lebensgeschichtlicher Interviews 31
      1. 1.3.1. Vom Erzählen zur Erzählung 32
      2. 1.3.2. Spezifika von Erzählungen im narrativen Interview 34
      3. 1.3.3. Spezifika lebensgeschichtlicher Erzählungen 35
    4. 1.4. Potenzial der Erinnerungserzählungen 42
  4. 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
    1. 2.1. Zur Entstehung des Quellenmaterials 47
      1. 2.1.1. Der Idealtyp des narrativen Interviews und die Praxis 48
      2. 2.1.2. Die Arbeit mit dem erhobenen Quellenmaterial 50
      3. 2.1.3. Statistischer Überblick über die biografischen Interviews 52
    2. 2.2. Erinnerungspraxis und Erzähltradition: Definition und Forschungsziel 55
      1. 2.2.1. Zur Methodik der Auswertung und Analyse 58
      2. 2.2.2. Zur Darstellung der Ergebnisse 60
  5. 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
    1. 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
    2. 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
    3. 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
    4. 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
      1. 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
      2. 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
      3. 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
      4. 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
      5. 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
      6. 3.4.6. Modernisierung 112
      7. 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
      8. 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
      9. 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
      10. 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
      11. 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
      12. 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
      13. 3.4.13. Autoritäten 183
      14. 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
      15. 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
      16. 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
      17. 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
      18. 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
      19. 3.4.19. Repressives NS-System 230
      20. 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
      21. 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
      22. 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
      23. 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
      24. 3.4.24. Gefangenschaft 263
      25. 3.4.25. Heimkehr 268
      26. 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
      27. 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
      28. 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
      29. 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
      30. 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
      31. 3.4.31. Kriegsende 301
      32. 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
      33. 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
      34. 3.4.34. Entnazifizierung 324
      35. 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
      36. 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
      37. 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
      38. 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
      39. 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
      40. 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
      41. 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
      42. 3.4.42. Liebe und Ehe 370
      43. 3.4.43. Geburt der Kinder 381
      44. 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
      45. 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
      46. 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
      47. 3.4.47. Naturkatastrophen 400
      48. 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
      49. 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
      50. 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
  6. 4. Zusammenfassung und Synthese 421
    1. 4.1. Erzählstoffe und Leitlinien 422
      1. 4.1.1. Die 50 Erzählstoffe einer Durchschnittsbiografie 424
      2. 4.1.2. Ein Leben geprägt von Wandel 427
      3. 4.1.3. Arbeit als Lebensthema 428
      4. 4.1.4. Männer- und Frauenerzählungen 429
      5. 4.1.5. Geschichtliches und Lebensgeschichtliches 430
    2. 4.2. Erzählstrukturen und -strategien: Rechtfertigung, Idyllisierung, Vergleich 432
  7. 5. Verzeichnisse und Nachweise 439
    1. 5.1. Liste der anonymisierten ZeitzeugInnen 439
    2. 5.2. Literaturverzeichnis 440
    3. 5.3. Internetquellen 454
    4. 5.4. Abbildungsverzeichnis 454
    5. 5.5. Ortsregister 458
    6. 5.6. Personenregister 461
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