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224 man gesagt. […] Und die hat man dann halt vergast auch. Die hat man auch
umgebracht. Da ist halt einfach nichts mehr „vöherko“308.
I: Ja was haben da die Leute gesagt?
OP: Da hast du nichts sagen dürfen. Wenn du da etwas gesagt hättest …
NN ♂, geboren 1912:
NN: Dann bin ich nach Wien gekommen und habe dort den Umbruch mit-
erlebt. […] Und politisch ist das damals sehr hart gewesen, weil in Wien hat
es sehr viele Juden gehabt. Und da sind sie brutal vorgegangen. Da ist man
brutal vorgegangen.
I: Haben Sie da noch eine Situation im Kopf? Können Sie sich da an was
erinnern?
NN: Ja, die Geschäfte haben sie ihnen zu gemacht. Die Judenfrauen haben
mit Zahnbürstchen die Zeichnungen wegmachen müssen. Da haben sie das
Hakenkreuz drauf gemacht, und mit Zahnbürsten hat sie das von den Platten
überall wegtun müssen, von den Wänden von den Geschäften. Ich kann mich
nur erinnern, die kleinen Juden hat man erwischt. Die großen sind schon fort
gewesen. [lacht]
KP ♂, geboren 1929:
I: Mhm. Und hat man das von den Verfolgungen gewusst? Von den Judenver-
folgungen oder anderen?
KP: Ja, ich sag einmal die KZs sind einmal bekannt gewesen. Du hast ja, ich
sag einmal, von der damaligen Führung hast du ja nichts erfahren. Ich weiß
noch, der Vater hat anno 42 einen Radio gekauft. Schwarz, natürlich. [lacht]
Den haben wir mit Fleisch bezahlt. Und dann hat man natürlich Auslän-
dersendungen gehört, hauptsächlich. Und da bist du dann schon unterrichtet
worden, was … ich hab das ja dazumal nicht verstanden, ich bin ja ein junger
„Lalli“309 gewesen. Aber der Vater, der hat schon gewusst, was da lauft, gelt.
Und sagen wir mal, im Krieg hast du nicht erfahren, was da abgelaufen ist,
mit den Transporten nach Sibirien und was weiß ich wo. Und wie’s im KZ
zugegangen ist mit den Vergasungen und mit dem Zeugs. Das hast du erst
später von Augenzeugen oder von Überlebenden von diesen … ich habe eine
Frau gekannt, die ist in Dachau gewesen. Die hat dann schon Sachen erzählt,
ja das gibt es nicht. Es gibt ja heute noch Leute, die sagen das ist nicht so
gewesen. Ich weiß das nicht. Ich hab das nie gesehen, ich hab das nur gehört.
Ich kann auch nicht sagen, das ist so gewesen oder so gewesen. Ich kann nur
sagen, wie es bei uns herinnen zugegangen ist. Da sind Leute verschwun-
den, die sind einfach abgeholt worden. Hat man gesagt, die sind krank oder
was. Und die sind halt nicht mehr zurück gekommen, hat’s geheißen die sind
308 zurückgekommen.
309 Kerl.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439