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Den Krieg als Reiseerlebnis zu erzählen, stellt nicht zuletzt eine kulturelle Stra-
tegie dar, die den Krieg kommunizierbar und alltäglich machen soll. Hier wird die
Biografie nach einem Muster umgebaut, das von der Gesellschaft angenommen
werden kann und über die sich auch Täter wieder in die Gesellschaft eingliedern
können.342 Ein kurzer Ausschnitt aus der „Reiseerlebnis“-Kriegserzählung des
1910 geborene EF soll nachfolgend ein Beispiel für diese Musterberichte geben
– denn von Mustererzählung kann hier aufgrund der Struktur einer Aufzählung
kaum gesprochen werden:
I: Sie haben auch vom Krieg erzählt. Dass Sie fünf Jahre im Krieg gewesen
sind.
EF: Fünfeinhalb Jahre, ja.
I: Haben Sie da noch eine Erinnerung daran?
EF: Zuerst haben wir die Ausbil… musste ich die Ausbildung machen in Lan-
deck. Dann sind wir dann nach Salzburg gekommen. In Landeck sind wir drei
Monate gewesen. Und dann sind wir dann nach Salzburg gekommen. Dort
sind wir dann aufgerüstet worden, alles miteinander. Dann sind wir hinaus
gefahren nach Heuberg, von Heuberg weg nach Frankreich. Dann habe ich
den Frankreich Feldzug mitgemacht. Vom Frankreich Feldzug sind wir wieder
im Herbst, im Dezember sind wir heraus, mit den Viehwaggons. Und dann
hat man uns in Kapfenberg unten, in der Steiermark unten, stationiert. Und
im nächsten Frühling sind wir nach Griechenland hinunter gekommen. Am
6. April anno 41 hat man in Griechenland angegriffen, an der bulgarischen
Grenze oben bis nach Griechenland hinunter. Und dann … das hat, glaube
ich, bis 43 gedauert, der Griechenland Feldzug. Und dann am 3. Mai, glaube
ich – ja, am 6. April hat man angegriffen, und am 6. Mai … ich weiß nicht
mehr. Am 3. oder am 6. Mai ist Siegesparade gewesen in Athen. Und wir sind
dort in Marathon unten gewesen. Wo wir dort unten in Marathon gelegen
sind, haben sie auch die Insel Kreta angegriffen. Dort musste, Gott sei Dank,
unsere Kompanie nicht hin. Und der Kompaniechef „hot gsponna“343, dass er
da nicht eingesetzt wurde. […] Und dann sind dann so Weingärten unten
gewesen. Wir sind dann so heimlich in diese Weingärten hinein. Da sind die
Trauben schon reif gewesen. Um solche Trauben zu stehlen. [lachen] Dürfte
man ja eigentlich nicht, gell. [lacht] Ja, ja. Dann im Herbst sind wir von Grie-
chenland herauf gekommen wieder. Im Herbst unten musstest du immer den
Kragen zumachen, bei der ärgsten Hitze. Und dann ist man wieder nach Kap-
fenberg herauf gekommen. […]
EF reiht hier die Stationen der Truppenbewegungen aneinander. Manche Stationen
werden kurz kommentiert, die Kampfhandlungen selbst werden mit der unpersön-
lichen Formulierung „hat man in Griechenland angegriffen“ angedeutet, einzelne,
angesichts des Krieges unbedeutend erscheinende, Begebenheiten – wie etwa das
342 Löffler: Zurechtgerückt. S. 53.
343 hat getobt.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439