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298 Gemeinsam mit den Illwerke-Angestellten waren auf den wichtigsten Baustel-
len und Anlagen, wie dem Vermunt-Stausee, Soldaten zur Bewachung stationiert.
Die Illwerke-Angestellten wussten über die Munitionslager und die militärischen
Pläne Bescheid, und als Ende April 1945 das Ende des Krieges absehbar war, schrit-
ten einige „Illwerkler“ auf Geheiß ihres Vorgesetzten Romed Boss zur Tat, mach-
ten die Munition unbrauchbar und retteten damit die Vermunt-Staumauer vor
einer möglichen Zerstörung.393 Andere Anlagen, wie etwa die Trominierbahn oder
der Schrägaufzug in Partenen, wurden tatsächlich von deutscher Hand gesprengt.
Der 1910 geborene RI war einer der drei Angestellten, die die Munition im Ver-
munt-Stausee versenkten. Er beschreibt seine Erinnerungen wie folgt:
RI: Und dann, wie gesagt, in zwei, drei Tagen … Mittlerweile haben wir noch
Munition abholen müssen, da hat mir der Herr Boss drei Mann von Parte-
nen hinauf geschickt, und da haben wir müssen ins Silvrettadorf hinauf, in
den Bunker eine Munition holen. Und die ist natürlich abgesichert gewesen
mit Signal für einen besonderen Mann oben. Und da hat es geheißen, man
muss den Strom ausmachen. Hat der Chef mit mir telefoniert: „Zwischen eins
und zwei muss das Silvrettadorf stromlos sein. Musst du abschalten, um zwei
kannst du wieder einschalten.“ Da sind die hinauf und haben das Zeug her-
aus geholt, da. Wieder zugemacht, und sind dann zu mir heruntergekommen.
Ich bin dann mit denen auf die Staumauer hinaus, auf der Staumauer sind
drei Geschütze, Abwehrgeschütze für die Flieger, drei Stück gewesen. Und im
Einlauf drinnen, da im Turm im Wasser drinnen, wo der Einlauf … das Was-
ser auf Partenen hinunter geht. Da haben sie ein Munitionslager gehabt. Da
bin ich mit denen hinaus, habe das ganze Munitionslager in den See hinun-
ter gehaut. Und diesen Leuten [Soldaten, Anm.] habe ich sagen müssen, dass
wir eine Störung haben im Einlauf drinnen, hat mir der Chef gesagt, und
wir müssen das reparieren gehen. Und das habe ich müssen allen drei Posten
mitteilen. Dass sie uns in Ruhe lassen. Wir haben die Munition hinunterge-
haut, einer hat aufgeschaut, dass keiner kommt und uns beobachtet, was wir
machen. Und wie wir zurück gekommen sind, sind andere Leute oben gewe-
sen, die haben Schichtwechsel gehabt in der Zeit. Also habe ich denen auch
wieder müssen erklären, was wir gemacht haben. Dann habe ich mir gedacht,
hoffentlich gehen sie nicht nachschauen, dass sie sehen, dass nichts mehr im
Ding ist. Dann kommt der Oberleutnant Fuchs, hat der geheißen, es fällt mir
gerade ein, der kommt jetzt und erschießt uns. Ich bin natürlich schon gefasst
gewesen und habe gesagt, wenn etwas ist, sollen sie mich gleich verständigen,
meine Kollegen, dann hau ich ab über die Grenze. In die Schweiz. Aber es ist
gottseidank nicht so weit gekommen. […] Und da hat es dann eben geheißen,
wir hätten … Ich bin sogar einmal im Fernsehen gewesen, kurz, und hab ein
bisschen reden können. Aber Sie wissen ja, wie das ist im Fernsehen, wenig
Zeit. Man kann nicht richtig reden. Aber da hat es geheißen, im Fernsehen,
393 Löffler-Bolka, Dietlinde: Vorarlberg 1945. Das Kriegsende und der Wiederaufbau demokrati-
scher Verhältnisse in Vorarlberg im Jahre 1945. Bregenz 1975. S. 56f.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439