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300 ältere Männer. Und wir natürlich haben viele Sorgen gehabt schon wegen der
Sprengung von der Mauer drinnen. Wir haben dann Sitzungen gemacht. Aber
wir haben ja nichts machen können. Aber gerettet hat ja das von der Illwerke
einer. Wissen Sie das schon?
I: Ja, erzählen Sie mir das noch mal. Ich habe die Geschichte immer nur so
halb gehört. Wie war das genau? Wie haben Sie das in Erinnerung?
CY: Ja, wir haben das in Erinnerung, weil die deutsche Wehrmacht hat ja
die ganze Mauer drinnen schon geladen. In der Silvretta drinnen, die woll-
ten das sprengen. Die haben wollen auf diese Art, wenn die Franzosen – da
sind ja Franzosen, die französische Abteilung gewesen. Wenn die kommen,
dann hätten sie die Mauer gesprengt, und dann hätte es Partenen und alles
herausgespült. Da wäre viel Wasser gewesen, weißt du, von so einem ganzen
See. Und da haben wir immer wieder Sitzungen gehabt, Kollegialität unter
den Heimatverteidigern: Wie können wir das machen? Weil die Brücke war
bewacht, militärisch.
I: Wer hat sich da getroffen? Sie waren dabei?
CY: Bei den Sitzungen? Da war ich auch dabei. Und dann hat man immer
geredet: Wie machen wir das? Die ganze Mauer ist schon geladen zum Spren-
gen. Wie können wir das machen? Aber das ist sehr schwierig, weil da ist
immer ein Posten auf der Mauer gewesen. Tag und Nacht. Und die ganze
Mauer war schon mit Sprengmaterial versorgt. Aber zufälligerweise … wir
haben dann da nichts zu tun gehabt. Das hat jemand von der Illwerke, ein
Mann, ein Ingenieur, der hat dann zu dem Posten gesagt: „Ich muss noch da
hinüber in den Turm, es funktioniert etwas nicht mehr.“ Und dort war die
Zündung. Und dann hat er die Zündung ins Wasser geworfen. Und dann ist
das gerettet gewesen.
Derart detailliert wie RI und CY sich dieser Episode der Montafoner Geschichte
widmen, geschieht dies in anderen Erzählungen nur selten. RI war, und CY fühlte
sich als Bestandteil der Ereignisse im April und Mai 1945, was die ausführlichen
Darstellungen erklärt. Dass zahlreiche andere ZeitzeugInnen dieses Ereignis der
Staumauer-Sprengung, das ja schließlich zu keinem Ereignis mehr wurde, in ihren
Erinnerungserzählungen erwähnen, könnte einerseits darauf hinweisen, dass tat-
sächlich viele MontafonerInnen damals um diese Pläne der Sprengung wussten
und sich die damit verbundenen Gefühle der Angst und Ohnmacht auch eng mit
den Erinnerungen an das Kriegsende verknüpften. Andererseits muss aber ver-
mutet werden, dass der Großteil der Bevölkerung erst später vom Vorhaben der
Staumauer-Sprengung erfuhr, diese Vorstellung von der Sprengung der Mauer und
der Flutung des Tales jedoch einen tiefen emotionalen Eindruck hinterließ und
schließlich als historischer Seitenblick in lebensgeschichtlichen Erzählungen Ein-
gang fand.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439