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314 und gibt mir den Wecken Brot. Der hat gemeint, wir haben nichts zu essen.
An das kann ich mich noch gut erinnern. Die Marokkaner waren eigentlich
sehr kinderliebend und haben uns eigentlich immer beschenkt mit Lebensmit-
tel und Schokolade, haben sie gehabt, und – gut, Zigaretten haben wir nicht
gebraucht, damit hat man nichts anfangen können. Die sind zwar überall
herum gelegen. Das waren die Kindererinnerungen an die Marokkaner.
UU ♂, geboren 1924:
UU: Ja, mit diesem Franzosen hat man nicht viel erlebt. Nein, da … [lacht]
ich glaub. Ich hab einmal mit einem Franzosen eine Gämse schießen wollen,
oder er hat einen schießen wollen. Wir sind dann paar Mal auf so eine Gämse
gegangen, aber haben keine erwischt. Ja [lacht], das ist dann auch so ein
Erlebnis gewesen mit dem Franzosen. Aber der hat Angst gehabt vor mir. Da
hab ich die Franzosenkappe von dem Franzosen aufgehabt und sein Gewehr
und er hat meinen Hut aufgehabt. Und einmal, in der Wasserstoba, hat er …
Ja, einmal hat er auch auf mich geschossen! Ich hab die Kugel gehört an mir
vorbeipfeifen! Ich bin herunter gekommen in der Dämmerung und er ist bei
der Hütte drunten […], haben wir ausgemacht, er kommt dann und dann
zu der Hütte. Das Vieh ist schon weg gewesen, im Herbst ist das gewesen.
Ja, ich bin dann da runter und vom Wald herunter und dann hat der Trottel
geglaubt ein Hirsch kommt. Zum guten Glück hat er nicht getroffen. Auf jeden
Fall ist die Kugel sehr nahe vorbei. Und ich bin da schon gelegen, aber das wär
schon zu spät gewesen. Er hat natürlich da noch einen Wein dabei gehabt,
dann haben wir miteinander in der Hütte noch Wein gesoffen. Dann hat man
sich im Dunkeln wieder auf den Weg machen müssen. […] Wir haben uns
dann da am Hang ein bisschen nieder gelegt, als ein Mann daher gekommen
ist. Wir waren aber in einer Latsche drinnen, er hat uns gar nicht sehen kön-
nen. Und dann hat er schon einen Zorn gehabt, „was macht der!“ „Ja, das
weiß ich nicht.“ Aber ich hab genau gewusst, er hat einen Pickel und einen
Sack auf der Schulter gehabt um Wurzeln graben zu gehen. Enzianwurzeln.
Ich hab schon gesehen, dass der die Richtung einschlagt, wo diese Wurzeln
sind. […] Und aber der Franzose hat das nicht gewusst. Und der Mann ist in
unsere Richtung gekommen. Dann hat er gesagt, „Ja, was machen wir? Wenn
der daher kommt?“ Dann hab ich gesagt, „den erschieß ich. Der ist hin.“ Jaja.
Dann hat er das Gewehr haben wollen. „Nichts da, das Gewehr behalte ich
da.“ Der hat sich dann nicht getraut gegen mich aufzumucksen. Aber ich hab
gewusst, dass der nicht da her kommt, ich hätt ihn nicht erschießen brauchen.
Ich hätt ihn auch nicht erschossen, das war ja einer von da! Einer von uns.
Dann ist der ein Stück neben uns vorbei und auf dem Viehtriebweg. Und der
Franzose hatte natürlich Angst. [lacht] Nein, sonst ist das schon gegangen mit
den Franzosen.
In den Darstellungen der drei Erzähler wird durchgängig das gute Verhältnis mit
den französischen Soldaten betont. LM spricht immerhin von der Besatzungszeit
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439