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Abb. 52: Alpinkurs der französischen Besatzungssoldaten in der Silvretta
(Sammlung Peter Campidell/Montafon Archiv)
Ein weiterer Erzählstoff ist ebenfalls eng mit den Jahren der Besatzung verbunden
und soll hier abschließend umrissen werden: Liebesbeziehungen zwischen ein-
heimischen Frauen und den Besatzungssoldaten werden immer wieder erwähnt,
wenngleich es sich zumeist nur um scheue Andeutungen handelt. In verschiede-
nen Projekten auf Basis lebensgeschichtlicher Erzählungen konnte aufgezeigt wer-
den, dass dieser Erzählstoff bis heute einer gewissen Tabuisierung unterliegt.405
In einigen wenigen Fällen wird von der Ansteckung von Bekannten durch
Geschlechtskrankheiten sowie von Vergewaltigungen, die angeblich vor allem von
Marokkanern verübt wurden, berichtet. Hier könnte in den Erinnerungen noch
die Jahre zuvor gestreute Gräuelpropaganda der NationalsozialistInnen nachwir-
ken, die vor den marokkanischen Soldaten als brutalen Kannibalen sprach, die
„mit dem Messer im Mund kämen“ und vergewaltigen würden.406 Am häufigsten
werden die sexuellen Kontakte jedoch durch einen Hinweis auf die Früchte die-
ser Beziehungen, nämlich die „Franzosenkinder“ oder „Französle“ angesprochen
– ohne dass Details der Beziehungen oder der Reaktionen im Ort erläutert wer-
den.407 Es folgen drei Ausschnitte zum Thema:
405 Huber, Renate: „Als Mann hätte er mich interessiert, als Mann …“ Beziehungen von Vorarlberger
Frauen zu französischen Besatzungssoldaten auf der Basis lebensgeschichtlicher Interviews. In:
Montfort 49 (1997). S. 177–196.
406 Lechhab, Hamid: Marokkanische Besatzungskinder in Vorarlberg nach 1945. In: Sauer, Walter
(Hg.): Von Solimann zu Omofuma. Afrikanische Diaspora in Österreich. 17. bis 20. Jahrhundert.
Innsbruck 2007. S. 177–186. Hier S. 178.
407 Vgl. Huber, Renate: Identität in Bewegung. Zwischen Zugehörigkeit und Differenz. Vorarlberg
1945–1965. Innsbruck 2004. S. 184–198.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439