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322 MN ♀, geboren 1917:
I: Wie ist man mit den Franzosen da ausgekommen? War das ein sehr feindli-
ches Verhältnis, nach dem Krieg? Oder wie ist das da gelaufen?
MN: Ja, man hat sich schon ein bisschen zurückgehalten. Man hat sich jetzt
nicht gerade … Es sind einzelne gewesen, wo … es sind da Nachkommen
da geblieben. Ich weiß zwei einzige in unserer Gemeinde. [lacht] Ja. Es ist
natürlich damals dann schon ein Ereignis gewesen. Während dem Krieg sind
keine Buben dagewesen. Und dann auf einmal sind zum Teil die Buben, wo
wir gekannt haben … Es sind über 100, glaube ich, in unserer Gemeinde, wo
gefallen sind. Und das ist halt eine große Lücke gewesen. Und dann kommen
die schönen Franzosen zu uns da her. Das ist schon verführerisch gewesen.
[lachen]
UF ♀, geboren 1916:
I: Hat man da profitiert davon, dass man jemanden im Haus unterbringen
konnte? Hat man da Vorteile gehabt?
UF: Nein! Überhaupt keine. Überhaupt keine.
I: Wie ist man da ausgewählt worden?
UF: Wo Platz war. Die haben sich die Leute angeschaut und haben gesagt, da
bin ich gut aufgehoben, die schauen ganz gut aus. Das sind saubere Leute, da
können wir die unterbringen.
I: Und die hat man dann gezwungenermaßen unterbringen müssen.
UF: Wir mussten! Wir mussten! War ja Besatzung, nicht. Und in den ersten
Tagen sind die Franzosen ja nur mit Gewehr unter dem Arm herumspaziert.
I: Ja? Was hat man da geredet über die?
UF: Ja, man musste vorsichtig sein. Wenn man über die lacht, dann haben sie
das nicht so gerne, nicht. Die Grand Nation, stellen Sie sich vor! Aber wissen
Sie, die Frauen waren aber auch verrückt! Als am 5. oder 6. Mai gegen Abend,
so zwischen 5. und 6. die Franzosen einmarschierten, da sind die Frauen
gelaufen und haben sich den Franzosen an den Hals gehängt! Na, habe ich
gedacht, was zu viel ist, ist zu viel!
I: Da, in Schruns, oder wie?
UF: Ja! In Schruns!
I: Wie erklären Sie sich das?
UF: Ach. Ganz einfach. Es ist ganz einfach. Sie müssen nur ein kleines biss-
chen nachdenken, dann geht das schon.
I: Weil die Männer alle weg waren? Oder hat man gehofft, dass man etwas
bekommt? Schokolade, Seidenstrümpfe? Was haben sich die Frauen erhofft?
UF: Dass sie die Franzosen schon immer geliebt haben, auf einen ganz einfa-
chen Nenner gebracht.
I: Also, wirklich Liebesbeziehungen wurden da angeknüpft, oder?
UF: Liebe … da kann man ja nicht von Liebe reden. Aber Liebe gespielt. Ich
habe mich so geschämt, oft. Ja, ich habe mich so geschämt, für meine … Und
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439